HELEN WOLFF IN MARBACH

Welch eine Verlegerin! Gerade erobert Helen Wolff mit ihrem posthum herausgegebenen Roman »Hintergrund für Liebe« (mein Blogartikel hier) die Bestenlisten, etwa vom SWR. Als Autorin eine Neuentdeckung, war sie als Verlegerin (1906–1994) legendär, in seinem Nachruf fand etwa Günter Grass außerordentlich bewegte Worte für den großen Verlust. Helen Wolff hatte nach dem tragischen Unfalltod ihres Mannes 1963 in Ludwigsburg – auf dem Weg nach Marbach wurde Kurt Wolff von einem Lkw überfahren – die Verlagsgeschäfte allein übernommen. In den USA verlegte sie bis in die 1980er-Jahre die Reihe »Kurt and Helen Wolff Books« bei Harcourt, Brace & World: mit Autoren wie Günter Grass, Max Frisch und Uwe Johnson, Italo Calvino und Georges Simenon, die es ihrem Einsatz verdanken, auch in Amerika zahlreiche Leser*innen gefunden zu haben.

Schillerstadt: In Marbach wurde der deutsche Nationaldichter geboren, und sein Geburtshaus gehört zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Schillers Lebensweg führte ihn zuletzt nach Weimar, wo er nach seinem Tod 1805 auch seine letzte Ruhestätte fand. Wer den Friedhof in Marbach besucht, oberhalb der Alexanderkirche am Hang gelegen, findet dort andere literarische Spuren, denn unter anderem sind hier Helen und Kurt Wolff begraben, der erste Verleger Kafkas zusammen mit seiner zweiten Frau. Kurt Wolff (1887–1963) gründete schon vor dem Ersten Weltkrieg seinen ersten Verlag, dessen Buchreihen wie »Der jüngste Tag« bis heute legendär sind und in der Kurt-Wolff-Stiftung bis heute ihren Nachhall in der Buchwelt finden. Er gilt vor allem als Verleger des Expressionismus, auch wenn er sich selbst nicht so verstand. Zusammen mit ihrem Mann Kurt emigrierte Helen Wolff 1941 in die USA, wo sie gemeinsam den Verlag Pantheon Books gründeten. Ende der 1950er-Jahre kehrten sie zurück nach Europa, zogen nach Locarno in der Schweiz.

Die Welt der Literatur: Ein Anlass, Marbach einen Besuch abzustatten, kann das Schiller-Nationalmuseum sein, und ich empfehle auch eine Wanderung auf dem »Wein-Lese-Weg« und einen Spaziergang durch das Winzerviertel der Holdergassen. Doch vor allem das Literaturmuseum der Moderne oben auf der Schillerhöhe lohnt unbedingt einen Ausflug für literarisch Interessierte. In der Dauerausstellung ruhen echte Schätze aus Autorennachlässen in den Glasvitrinen, Zettelkästen und Briefe, Manuskripte und Korrekturfahnen. Denn im damit verbundenen Deutschen Literaturarchiv Marbach werden literarische Nachlässe ebenso betreut wie das Helen-und-Kurt-Wolff-Archiv. Dass das Deutsche Literaturarchiv zu den wichtigsten Sammel- und Forschungsstätten für Exilliteratur gehört, verdankt sich vor allem dem Engagement von Gründungsdirektor Bernhard Zeller (1919–2008). Sein Grab liegt nicht weit entfernt von dem der Wolffs… Beim Besuch des Literaturmuseums kann man gleich im Museumsshop Band 106 der »Spuren« von Nikola Herweg erwerben, dank dem man Näheres über »Helen und Kurt Wolff in Marbach« erfährt. So war der nach Europa zurückgekehrte Kurt Wolff gar nicht zur großen Expressionismus-Ausstellung im Jahr 1960 konsultiert oder ihm ein Katalog zugesandt worden. Er nahm es nicht übel, und so entspann sich ein reger Kontakt. Helen Wolff wollte ihren Mann in Marbach begraben wissen, »dem einzigen Ort, an dem er international beheimatet war«. Nach seinem Tod kehrte sie nach New York zurück. Schon bald übergab sie dem Deutschen Literaturarchiv den Briefwechsel ihres Mannes mit Boris Pasternak, der den Grundstock der Marbacher Kurt-Wolff-Sammlung bildet. Es folgten Editionsprojekte, die Übergabe weiterer Dokumente, eine Ausstellung… . 1994 fand Helen Wolff dann auch selbst in Marbach ihre letzte Ruhestätte.

Nikola Herweg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Literaturarchiv und leitet dort das »Helen und Kurt Wolff Archiv«.

Spuren 106 erschien 2015, Umfang 16 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-944469-18-8, www.dla-marbach.de

Friedhof Marbach am Neckar