DEUTSCHE WEINE IN ZAHLEN

Kost nix: Erschütternd eine der gleich im Vorwort genannten Zahlen: Der Durchschnittspreis stieg zwar um 24 Cent, doch Kunden zahlen im Lebensmitteleinzelhandel nach wie vor im Schnitt nur 3,39 Euro pro Liter für deutsche Weine. Wo mag dann der Einkaufspreis beim Erzeuger liegen? Wie ein Winzer mit solchen Beträgen wirtschaftlich arbeiten soll, ist ein Rätsel. Beim Erzeuger und im Weinhandel geben Kunden dagegen 6,80 € pro Liter aus. Kein Wunder also, dass wieder mehr Winzer auf Direktvermarktung setzen, eigene Vinotheken eröffnen und sich weitere Standbeine zulegen, ob Ferienwohnungen, Gastronomiebelieferung, Hoffeste, Weintourismus und mehr, kein Wunder auch, dass die Betriebsgrößen wachsen und die kleinen (Nebenerwerbs?)Winzer mit Rebflächen bis zu einem Hektar immer weniger werden. Dennoch hat mich die Höhe der folgenden Zahl überrascht: 78 Prozent aller Weine werden in Lebensmitteleinzelhandel gekauft, davon die Hälfte bei Discountern. Direktvermarkter kommen auf einen Marktanteil von elf Prozent, der Online-Weinhandel auf vier Prozent.

Deutsche Weine im Trend: Das Deutsche Weininstitut veröffentlicht jährlich Zahlen und Statistiken, als Download unter deutscheweine.de für jedermann zugänglich, aus der Statistik 2019/2020 stammen die hier genannten Werte, die zumeist für 2018 erhoben wurden. In den letzten zehn Jahren hat sich das Interesse an heimischen Gewächsen deutlich erhöht. 45 Prozent der in Deutschland gekauften Weine stammen auch aus den 13 heimischen Anbaugebieten, Italien folgt mit 15 Prozent, Frankreich mit 13 Prozent. Während in Österreich, Frankreich, Italien und Spanien die Rebflächen um teils 15 bis zu fast 37 Prozent abgenommen haben (im Vergleich zum Jahr 1990), sind die bewirtschaften Terrains in Deutschland um mehr als 8 Prozent gewachsen. Da mag einem komisch vorkommen, dass im selben Zeitraum der Ertrag um 21,2 Prozent wuchs – das passt nicht zur gleichzeitigen Beschwörung der großen Qualitätssprünge beim deutschen Wein durch Ertragsreduzierung. Den niedrigsten Wert verzeichnete im Jahr 2018 Sachsen mit 52 Hektolitern pro Hektar als Flächenertrag, den höchsten Rheinhessen mit 112 Litern. Das wundert wenig, wenn man auf der Autobahn an den riesigen flachen Äckern Rheinhessens vorbeifährt, die mit Reben bestockt wurden, und gleichzeitig auch die Steillagen Sachsens im Elbtal kennt, die nicht industriell mit dem Traktor bewirtschaftet werden können. »Wo der Pflug kann gehen, soll kein Rebstock stehn«, hieß es in früheren Zeiten, denn die Bauern mussten in erster Linie Lebensmittel erzeugen. Wo auch Kartoffeln, Gemüse und Getreide oder Futterpflanzen fürs Vieh angebaut werden konnten, hatte Wein keinen Platz. Heute ist das in vielen Anbaugebieten aufgrund der Mechanisierung leider genau andersrum, die Steillagen verfallen und die Rebflächen ziehen sich wie beispielsweise auch in der Pfalz immer weiter in die Ebene.

Burgunder-Boom: Auch bei den Rebsorten ist die Entwicklung interessant: Während Deutschlands Paraderebe Riesling seit Mitte der 1990er-Jahre stabil an erster Stelle steht (auch international gilt Deutschland als das Rieslingland) und bei gut 23000 Hektar verharrt, haben sich die bestockten Rebflächen für die Burgundersorten deutlich vervielfacht – Grauburgunder, Weißburgunder und Spätburgunder verzeichnen die größten Zuwächse (deutlich mehr als der zeitweise so trendige Sauvignon Blanc oder der allgegenwärtige Chardonnay). Keine Frage, diese Sorten liegen gerade hoch im Kurs bei den Konsumenten, weltweit stehen die deutschen Erzeuger inzwischen auch beim Weißburgunder an erster Stelle. Würde man ad hoc einige Weintrinker, Gastronomen oder Winzer über Absatz und Vorlieben befragen, wäre wohl Grauburgunder die beliebteste Sorte, am häufigsten bestellt, am schnellsten ausverkauft. Was mag der Grund sein? Keine übermäßige Säure wie beim Riesling und gemäßigte Alkoholgrade spielen vielleicht beim Verbraucher eine Rolle, die Winzer pflanzen möglicherweise dort, wo es für den Riesling angesichts des Klimawandels zu warm wird, eher Burgundersorten. Den größten Schwund muss der Müller-Thurgau verkraften, seine Anbaufläche ging massiv zurück, irgendwie hat sein Ruf und damit auch der Absatz sehr gelitten. Das Grauburgunderland schlechthin ist Baden, nach Rheinhessen und Pfalz das drittgrößte deutsche Anbaugebiet. Weniger steht im Zahlenmaterial über die Renaissance vergessener Rebsorten wie Tauberschwarz oder die Nachfrage nach PiWi-Neuzüchtungen, auch ob das Wachstum der Rotwein-Rebflächen seinen Höhepunkt überschritten hat, wie sich der Klimaandel bei Neupflanzungen bemerkbar macht oder Rotwein-Cuvées im Kommen sind, lässt sich dem Ganzen nicht entnehmen.

50. Breitengrad: Weinexport und -import dagegen werden ausführlich mit Zahlen unterfüttert, etwas unterbelichtet bleibt das Verhältnis der Anbauregionen untereinander. Kann Württemberg, das am meisten unterschätzte Anbaugebiet, neuerdings Punkte sammeln und seinen Ruf verbessern? Hat sich die Pfalz schneller verjüngt als Rheingau oder Mosel? Profitiert Franken von der Wiederentdeckung des Silvaners? Die letzten fünf Jahre scheint sich zumindest bei den offensichtlich stabilen Marktanteilen nichts verändert zu haben. Die beiden Weinanbaugebiete Rheinhessen und Pfalz schöpfen mehr als 60 Prozent der Marktanteile im Handel ab, Baden und Württemberg liegen mit elf, zwölf Prozent gleichauf, aber abgeschlagen dahinter. Mosel und Franken finden mit ihren vier und drei Prozent gerade noch Erwähnung, Ahr, Sachsen, Nahe oder Saale-Unstrut bleiben unerwähnt. Interessant wird auch sein, wie und ob der Klimawandel die Anbaugebiete verschiebt. Werden Winzer aus der Ebene in höhere Lagen ziehen oder von Süden nach Norden? Früher galt der 50. Breitengrad als nördlichste Grenze, der auf der Höhe von Wiesbaden verläuft. Schon an der Mosel hatten die Winzer in früheren Zeiten Mühe, reifen Trauben zu ernten. Dieses Problem gibt es nicht mehr, inzwischen wird auch in Niedersachsen und Hamburg Wein angebaut.

Deutsches Weininstitut, www.deutscheweine.de