DER ROTWEINWANDERWEG IM AHRTAL

Schönste Weinsicht: Ein Geheimtipp ist der Wanderweg durch die Weinberge nicht: Die Ausflügler aus Bonn, Köln und anderswo strömen in Scharen ins grüne Nebental des Rheins – an die Ahr. Man tut also gut daran, die Wochenenden zu meiden. Jetzt in den ersten Tagen der »Lockerungen«, an einem Werktag Ende Mai, war allerdings sehr wenig los – wir waren fast allein, in der Ahrtalbahn ebenso wie unterwegs auf dem Weg. Von Altenahrer Bahnhof geht es erst durch den Ort, dann muss ein steiler Anstieg vorbei an der Burg erklommen werden, bis die Höhe erreicht ist, auf der der Weg mehr oder weniger eben durch die Weinberge verläuft. Der Blick auf Burg Are und Altenahr von hier oben wurde 2012 zur schönsten Weinsicht des Anbaugebiets gekürt (2016 war es dann der Sonderberg mit Blick auf Dernau, 2020 die Burgruine Saffenburg oberhalb von Mayschoss – das Deutsche Weininstitut zeichnete im Jahr 2012 erstmals in allen 13 deutschen Anbaugebieten jeweils eine »Schönste Weinsicht« aus).

Steilvorlage: Das Ahrtal ist hier besonders eng und malerisch, die Terrassenlagen sind außergewöhnlich steil und nur mit großen Mühen und intensivem Einsatz zu bearbeiten. Beim Blick tief hinunter ins Tal wird einem fast schwindelig, und man möchte die Winzer bei ihrer Knochenarbeit an den Rebstöcken in extremer Steillage unbedingt ums Anseilen beim »Klettern« bitten. Zwölf- bis vierzehnhundert Arbeitsstunden muss der Weinbauer pro Hektar kalkulieren, das ist mehr als dreimal so viel wie in anderen Weinbaugebieten. Übrigens: Als Steillage gilt ein Hang ab 17° Neigungswinkel (= 30 Prozent Steigung), ab 27° (50 Prozent) kann nur noch in Handarbeit bewirtschaftet werden. Im Ahrtal machen Steillagen zwei Drittel der Anbauflächen aus, und 15 Prozent der Gesamtfläche sind sogar »Steilstlagen« (Hangneigung über 50 Prozent).

Immer auf der Sonnenseite: Eine ganze Weile geht es erst durch schattigen Wald, bis man bei Mayschoss wieder in offenem Gelände durch Rebhänge wandert – an einem sehr sonnigen und geradezu heißen Tag ist da durchaus eine Kopfbedeckung ratsam. Etwa 10 Kilometer beträgt die Strecke von Altenahr bis Dernau; er führt noch weiter über Bad Neuenahr und Ahrweiler bis nach Bad Bodendorf (35 Kilometer) kurz vor der Mündung der Ahr in den Rhein. Anders als beim anspruchsvolleren Ahrsteig auf der anderen Seite des Tals geht man auf halber Höhe durch die Weinbergterrassen, bis auf kleine Ausnahmen auf breiten, teils asphaltierten Wirtschaftswegen. Abstiege und Wege führen direkt in die Weinorte, wo Probierstuben und Straußwirtschaften auf Kunden und Gäste warten.

Pinot Noir aus Deutschland: Im Mittelpunkt steht im Ahrtal fast nur ein Roter: Die für ihre exzellente Qualität bekannten Weine werden vor allem aus Spätburgunder gekeltert, mit dem 65 Prozent der Rebflächen bestockt sind. Einige engagierte Ahrwinzer kümmern sich um den Erhalt des selten anzutreffenden Blauen Frühburgunders – eine Rebsorte, die in den 1960er-Jahren schon zu verschwinden drohte und von Slow Food als schützenswert in die »Arche des Geschmacks« aufgenommen wurde. Inzwischen wird die Rebsorte im Ahrtal wieder auf knapp 40 Hektar kultiviert, ein wichtiger Beitrag zur Artenvielfalt. Eine weitere Spezialität ist der Blanc de Noir, der aus Rotweintrauben gekelterte Weißwein – denn weiße Rebsorten führen hier eher ein Nischendasein, und Blanc de Noir ist eine Möglichkeit, flexibel auf die steigende Nachfrage zu reagieren.

Der Geschmack von Schiefer: Wie auch das Mittelrhein-Gebiet zählt das Ahrtal mit 562 Hektar Rebfläche – das sind 0,5 Prozent der Gesamtrebfläche Deutschlands – zu den kleinsten, aber auch schönsten Weinbauregionen Deutschlands. Mengenmäßig ist gering, was das Ahrtal liefert, aber nicht Renommée und Bekanntheit. Das milde Klima im Schutz der Eifel kann sich an sonnigen Tagen »teilweise treibhausartig in den Steillagen« entwickeln. Dort wurzeln die Reben oft auf kargen, mit Schiefer oder Grauwacke versetzten Böden. Die steinigen Böden speichern tagsüber die Hitze und geben sie nachts wieder ab. So profitieren die Trauben auch in kalten Nächten von milden Temperaturen und Frostschäden sind seltener. Der Wein ist Ausdruck des Bodens, in dem seine Reben wurzeln, und zeichnet sich durch Mineralität und Feinheit aus.

Lust auf ein zweites Glas? Wandern und Wein ist auch deswegen eine beliebte Kombination, weil am Ziel angekommen meist Speis und Trank in guter Qualität warten (und An- und Abreise lassen sich im Ahrtal ganz unkompliziert mit der Bahn bewerkstelligen). In Dernau sind es etwa ein halbes Dutzend Einkehrstationen, darunter der Hofgarten, die Gutsschenke von Hartmut Näkel, dem Bruder des Ahr-Weinmachers Meyer-Näkel. Der renommierteste Winzer des ganzen Anbaugebiets, 2020 von Eichelmann für sein Lebenswerk ausgezeichnet, kümmert sich inzwischen vor allem um seine Weinberge in Südafrika und Portugal, den Betrieb im Ahrtal hat er an seine Töchter Dörte und Meike übergeben, beide Geisenheim-Absolventinnen. Klar, dass man im Hofgarten zum Vesperteller oder zur Käseplatte die Meyer-Näkel-Weine offen oder flaschenweise probieren kann, diverse Rieslinge und Spätburgunder selbstverständlich, die Renommierrebsorten des Tals, aber auch einen Spätburgunder-Rosé, den seltenen Frühburgunder oder das »rheinische« Rotwein-Cuvée »Us de la meng« (aus dem Handgelenk). Weitere Tipps: Unter den Kollegen und Kolleginnen hat die Nachwuchswinzerin Julia Bertram erste Meriten gesammelt, die Jungwinzer der rund 600 Mitglieder zählenden Genossenschaft Dagernova haben sich der »Mission Steillage« verpflichtet und ein konsequent ökologisch wirtschaftendes Weingut ist die Altenahrer Maibachfarm.

 

www.rotweinwanderweg.de

www.ahr-rotweinwanderweg.de

www.ahrwein.de

www.meyer-naekel.de

www.hofgarten-dernau.de

www.juliabertram.de

www.dagernova.de

www.maibachfarm.de

Blick zurück auf Altenahr

Mayschoss

 

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