COLETTE: VOM GLÜCK DES UMZIEHENS
Drei Sechs Neun: In ihren elf Pariser Domizilen wohnte Colette mal im Erdgeschoss im 16. Arrondissement, mal hoch unter dem Dach im Hôtel Claridge an den Champs-Élysées. Sie lebte in einem mehr als 14 m langen dunklen Tunnel im Zwischengeschoss des Palais Royal direkt über einem Durchgang, bezog ein baufälliges Schweizer Chalet in Passy, wohnte in Saint-Germain in einem Gebäude zwischen zwei Innenhöfen. Mal vertreiben Vermieterinnen mit Abrissplänen Colette aus einer eigentlich behaglichen Wohnung, mal die Temperaturschwankungen aus dem im Sommer heißen und im Winter eiskalten Maleratelier, mal der finanzielle Ruin des Hotels. Den deutschen Titel »Vom Glück des Umziehens« darf man da wohl ironisch verstehen. Der französische Originaltitel »Trois… Six… Neuf…« dagegen spielt darauf an, dass Mietverträge für drei, sechs oder neun Jahre abgeschlossen wurden. Lebendig geschildert werden die Umzüge, »mit Männern, die sich den Tragegurt dreimal um den Bauch wickeln, sich mit einem Ringerwurf gekonnt Truhen und Buffets auf den Rücken wuchten und die ihren Proviant und einen Liter billigen Roten mithaben«. Von Pferden gezogene Wagen transportieren die mit Seilen festgezurrte Last.
Bürgerin des Palais: Ab 1925 verbrachte Colette rund ein Dutzend Jahre lang den Sommer an der Côte d’Azur, das bleibt in dem kleinen Bändchen unerwähnt. 1938 kehrte Colette (1873–1954) aus Saint-Tropez nach Paris zurück, ihre Villa La Treille Muscate hatte sie verkauft, und bezog eine Wohnung mit Blick auf den Garten des Palais Royal, wo sie bereits in den 1920er-Jahren gewohnt hatte. Statt des dunklen »Tunnels« im Zwischengeschoss, der ihr eine chronische Bronchitis einbrachte, lebte sie nun in der ersten Etage mit Blick ins Grüne. Im Alter machte der Schriftstellerin eine Hüftarthrose das Leben schwer, fesselte sie mehr und mehr ans Bett, nur noch selten verließ sie ihr Zuhause. In »Paris de ma fenêtre« (Paris durch mein Fenster), ebenfalls 1944 veröffentlicht, beschreibt sie den Blick aus ihrem Fenster, beobachtet Krähen, Meisen und die Katze der Concierge im Garten.
Journalistin und Schriftstellerin: Colette wurde im Jahr 1873 in dem kleinen Städtchen Saint-Sauveur im Burgund geboren; als sie 1954 im Alter von 80 Jahren starb, verabschiedete sich Frankreich mit einem Staatsbegräbnis und militärischen Ehren von seiner großen Schriftstellerin. Es war das erste Mal, dass die Französische Republik einer Frau diese Ehre erwies; die katholische Kirche hatte ihr das religiöse Begräbnis wegen »unschicklichen Benehmens« verweigert. Colette, die als naive junge Provinzlerin nach Paris kam, wurde zur Ikone der Belle Époque und eine berühmte Schriftstellerin und Journalistin. Die Geschichte, dass ihr erster Mann ihre erfolgreichen »Claudine«-Romane unter seinem Pseudonym Willy erscheinen ließ, sie zum Schreiben einschloss, ist oft genug erzählt worden, letzteres wird von ihren Biografinnen jedoch bezweifelt. Doch Colette war es leid, 1905 ließ sie sich scheiden und entwickelte sich zu einer freien und modernen Frau, fest entschlossen, den eigenen Weg zu gehen. Sie erlebte beide Weltkriege, hatte zahlreiche Liebschaften mit Frauen und Männern, löste so manchen Skandal aus, unter anderem als Varietékünstlerin, heiratete dreimal, wurde Mutter, schreckte vor keinem Tabu zurück. Heute ist der Vorplatz vor der Comédie Française nach Colette benannt – das Pariser Theater grenzt direkt an das Palais Royal, den letzten Wohnort der Schriftstellerin, deren Grab auf dem Friedhof Père Lachaise zu finden ist.
Colette: Vom Glück des Umziehens, aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger, Unionsverlag, Zürich 2025