AUSSTELLUNG IN PARIS: BERTHE MORISOT
Im Musée Marmottan: Jederzeit lohnt das Marmottan-Museum einen Abstecher – zu den dort ausgestellten Gemälden von Claude Monet gehören nicht nur Seerosenbilder aus seinem Garten in Giverny, sondern auch das berühmte »Impression, soleil levant«, das er im Hafen von Le Havre malte und das den Impressionisten den Namen gab. Mein Lieblingsbild der Dauerausstellung ist allerdings ein berühmtes Werk von Gustave Caillebotte, das Paris im Regen zeigt. Dennoch bleibt der Andrang hier meist überschaubar wegen der etwas abgelegenen Lage des Museums am Rand des Bois de Boulogne. An diesem Oktobertag ist jedoch eine auffallend große Besucherschar unterwegs im Jardin du Ranelagh, zwischen Metrostation und Museum. Denn die erst kürzlich eröffnete Sonderausstellung mit 65 Werken gilt der Malerin Berthe Morisot (1841–1895).
Anerkennung zu Lebzeiten: Berthe Morisot zeigte früh großes Talent und verzeichnete bereits in jungen Jahren Erfolge als Künstlerin. Malunterricht hatte die Tochter aus wohlhabendem bürgerlichen Hause durch Privatlehrer erhalten, darunter einige der angesehensten Maler der Zeit wie Camille Corot – Mitte des 19. Jahrhunderts standen Kunstakademien für ein professionelles Studium Frauen noch nicht offen. Mit nur 23 Jahren wurde Morisot im Jahr 1864 in den alljährlich stattfindenden, prestigeträchtigen Pariser »Salon« aufgenommen und behauptete zeitlebens ihren Platz in der Kunstwelt – was keineswegs heißt, dass es für sie leicht war, sich gegen die Konventionen und sexistischen Vorurteile der bürgerlichen Gesellschaft als Malerin zu behaupten (In ihrer Kunstgeschichte »The Story of Art without Men« zitiert Katy Hessel im Kapitel über Impressionismus die Malerin: »Ich glaube nicht, dass je ein Mann eine Frau als ebenbürtig behandelt hat.«). Materiell dank ihrer Herkunft abgesichert, gelang es ihr, ein umfangreiches Werk zu schaffen. Als erste impressionistische Malerin gilt sie in der Kunstwelt, weil sie 1874 neben Edgar Degas, Claude Monet, Alfred Sisley und den weiteren rund 30 Künstlern als einzige Frau an der ersten Ausstellung der Impressionisten teilnahm. Im Gegensatz zu einigen ihrer später berühmten Zeitgenossen wurde Morisots Werk schon zu Lebzeiten anerkannt. Als sie 1875 im Hôtel Drouot gemeinsam mit Renoir, Monet und Sisley eine Auktion organisierte, erzielte ihr eigenes Gemälde den höchsten Zuschlag. Und 1896, nur ein Jahr nach ihrem frühen Tod mit 54 Jahren aufgrund einer Lungenentzündung, kurz vor der Jahrhundertwende organisierte die Galerie Durand-Ruel die erste und zugleich größte Retrospektive, die Morisot jemals gewidmet wurde.
Lernen im Louvre: Schwerpunkt der Ausstellung im Musée Marmottan ist die Frage, was Berthe Morisot mit einigen Malern des Jahrhunderts vor ihren Lebzeiten verbindet – mit Antoine Watteau (1684–1721), François Boucher (1703–1770) und Jean-Honoré Fragonard (1732–1806). Gemeinsam mit ihrer ebenso begabten Schwester Edma verbrachte die Künstlerin viel Zeit im Louvre, Teil des Lernens war es, Meisterwerke zu studieren und zu kopieren. »J’adore le Louvre« zitiert eine an die Wand vergrößerte Aussage die Malerin. Als die Schwester heiratete, aus Paris in die Bretagne zog und ihre künstlerische Laufbahn für die Ehe aufgab, bedeutete das einen erheblichen Einschnitt in die persönliche Freiheit von Berthe Morisot, denn als unverheiratete und noch junge Frau durfte sie sich in der Öffentlichkeit nur in Begleitung zeigen.
Die Kunst des 18. Jahrhunderts: Das heitere impressionistische Schillern von Blumen, Abendkleiern, Spitzenvolants und luftig-dünnen Vorhängen mag trotz seiner zarteren Farbpalette an idyllische Szenen der Rokokomalerei erinnern. Der mit Morisot befreundete Auguste Renoir beschrieb die Malerin als »un peintre si imprégné de la grâce et de la finesse du XVIIIe siècle«. Zum Werk »Paule Gobillard en robe de bal« erläutert der Ausstellungskommentar zudem, eine spezifische stilistische Übernahme aus der Kunst des 18. Jahrhunderts sei »la loi des reflets« – dunklere oder schattigere Teile eines Motivs erhalten dieselbe Farbgebung wie die benachbarten helleren Bildpartien. Einflussreich sei auch das Werk von Jean-Baptiste Perronneau (1715–1783) gewesen, der sich auf Porträts in Pastellfarben spezialisiert hatte. Nach einer Ausstellung im Jahr 1885 arbeitete auch Morisot zunehmend mit Pastellkreide, mindestens ebenso häufig wie mit Ölfarbe. Absolut modern wirkt dagegen ihre Technik des Unfertigen, wie sie beispielsweise »Femme en gris debout« (1880) und ein Selbstporträt (1885) zeigen, mit teils flächigen, teils nur angedeuteten Kreide- oder Pinselstrichen, an den Rändern sich verlierender Farbgebung und der rund um die Frauenfigur und das Selbstporträt leer gelassenen Leinwand. »Pochade« ist der kunsthistorische Fachbegriff für solche mit wenigen markanten Pinselstrichen angefertigten Gemälde und Zeichnungen, die nicht als Skizze oder Vorentwurf dienen, sondern Werkcharakter haben.
Berthe Morisot et l’Art du XVIIIe siècle: Watteau, Boucher, Fragonard, Perronneau
18. Oktober 2023 bis 3. März 2024
Musée Marmottan, 2 rue Louis Boilly (16e), Métro: La Muette oder Ranelagh
www.marmottan.fr, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr