TYPOWALK KÖLN: DIE KÖLSCHE SPROOCH
Die kölsche Sprooch: Kaum eine Stadt betont ihre Bodenständigkeit so wie Köln und kultiviert die lokale Lebensart – »Hey Kölle, do bes e Jeföhl«, bekennen die Höhner. Bester Beweis: Kabarett und Karnevalslieder pflegen die lokale Variante des rheinischen Dialekts, und das Kölner Grundgesetz wird zitiert, wann immer es passt oder auch nicht. Wer bei den Bläck-Fööss-Klassikern nicht textfest mitsingen kann und Schunkeln und Bützjes nicht mag, hat es gar nicht verdient, in der Domstadt zu wohnen, oder? Ganz so weit her ist es damit im Alltag aber nicht. So gern mündlich die Heimat-Verbundenheit durch den Gebrauch von Kölsch demonstriert wird und so sehr die Sprache für die Bewohner ein Teil ihrer Identität ist – im Stadtbild sind weniger Inschriften im lokalen Idiom zu finden, als man vielleicht erwarten würde. Das mag daran liegen, dass es eben eine gesprochene Sprache ist und eine geregelte Rechtschreibung wie für das Hochdeutsche fehlt.
So wie dat fröher mol wor: So wie es mehr Konzernvorstände gibt, die Thomas heißen, als Frauen, gibt es in Köln vermutlich mehr Lokale mit italienischen Namen als mit kölschen. Manchmal ist allerdings beides »jlöcklich« vereint – wie beim »caffè felice«. Ein elementarer Teil der kölschen Kultur sind die Brauhäuser und die »Kaschämm«. »Jommer in en andere Kaschämm«, auch das sind erneut die Höhner mit ihrem Karnevalshit »Die Karawane zieht weiter«. Für Auswärtige tun sich da beim Singen auch mal Missverständnisse auf, meine bayrische Kollegin fragte sich, warum jemand in der Dachrinne lebt (läv in d’r Daach rin = lebe in den Tag hinein) und erfreute sich des Jodelns: »Dat es ne jode Lade – jode Lade – jode Lade – jode Lade – jode Lade he« (beides Höhner). Eigentlich bezeichnet der Begriff Kaschämm korrekt übersetzt eine Spelunke, ist in Köln aber freundlich gemeint und bedeutet Veedelskneipe. Und nur Letztere halten die kölsche Sprache bei der Namenswahl in Ehren, ob im »Höttche« (Hüttchen) oder »Stüffje / Stüffge« (Stübchen), im »Backes« (Backhaus), »Krützche« (Kreuzchen) oder beim »Kölsche Boor« (Kölner Bauern). Fast ausnahmslos wählen die Lokale »altdeutsche« Frakturschriften für ihre Beschriftungen – mit ihren charakteristischen verschnörkelten und teils leicht verwechselbaren Versalien sorgen die Buchstaben für eine historisierende Anmutung und sollen der Gaststätte wohl den Anstrich eines Traditionsbetriebs geben und Gemütlichkeit versprechen. Ob das noch funktioniert? »Im Schnörres« in der Südstadt traut man den Kölschkenntnissen nicht so ganz, das Ladenschild ist ein Schnurrbart. Dass auch Tradition und moderne serifenlose Schriften harmonieren, zeigen der »Golde Kappes« (Goldene Kohlkopf) in Nippes und der »Joode Lade« im Belgischen Viertel. Und ganz und gar keine Kaschämm ist das Restaurant »Am ahle Kohberg« – das schöne Fachwerkhaus mit Biergarten beherbergt die älteste Gaststätte Merheims.
In meinem Veedel: Ich fände es schön, wenn die Schriftzüge im Regiolekt oder Dialekt mehr würden – in der modernen Variante. Vor allem, weil ich auf Wortwitz hoffe! Bislang ist Kölsch im Stadtbild am häufigsten auf Plakatwerbung zu entdecken; dort sind es dann oft Anspielungen auf das »Grundgesetz« oder Zitate von bekannten Liedzeilen, die einen großen Wiedererkennungseffekt haben (Charlotte Rein, Regiolekt in der Werbung). Trotz der vielen Aushänge in Corona-Zeiten zum Thema Abstand, Hygiene etc. hat sich #blievzuhuss hauptsächlich als Hashtag über Twitter verbreitet. Dabei klingen Dialektformulierungen oft drastischer und direkter als das Hochdeutsche ohne unfreundlich zu wirken (Maske = Schnüsslappen), etwa wenn der Imbiss sich »Fressbud« nennt und darum bittet, schnell zu bezahlen und dann »Fott mit euch« (Foto siehe Köln vertikal). Wirklich sentimental wird der Kölner in seinem Dorf, das hier Veedel heißt. »Et Schönste, wat m’r han, schon all die lange Johr, es unser Veedel« (Bläck Fööss). Wer zum Typowalk durch Ehrenfeld, Nippes, Severinsviertel oder Deutz aufbricht, findet daher auch moderne Beispiele der kölschen Beschriftung – so kümmert sich die Podologin um »Ihrefelder Fööss«, die Kita um »Stippeföttche« oder »Hüppedeercher«, der »Veedelskrämer« bietet Unverpacktes, »Obs’ un’ Jemös« gibt es unweit des Chlodwigplatzes und im »Kiosk op d’r Eck« alles, was so ein klassisches Kölner Büdchen vorhält.
Et bliev nix wie et wor! In den Straßen, auf Fassaden und Verkehrsmitteln, Ladenschildern und Werbeplakaten, Leitsystemen und Verkehrsschildern: Schrift am Bau und im öffentlichen Raum belebt nicht nur das Straßenbild, sondern prägt ganze Städte. Jede Stadt hat ihre ganz eigene urbane Typografie. Eine ganze Schriften- und Schilderwelt tut sich für alle die auf, die die Augen offen halten. Schriftzüge und Buchstaben sind allgegenwärtig und prägen Orte auf subtile und doch eindrückliche Weise. Verblasste oder verwitterte Schriftzüge, Leuchtreklamen mit Kultstatus, historische Stadttypografie, traditionelle Restaurant- und Ladeninschriften vermischen sich mit urbaner Streetart und Graffiti, Neon-Zeichen und Werbeplakaten, modernen Markensignets und Leitsystemen zur Orientierung oder Texttafeln. Typografie im Stadtbild spiegelt die Geschichte auf eine ganz eigene Art wider und vereint dabei nostalgischen Retro-Charme mit stetem Wandel. Jeder Schriftzug erzählt dabei eine Geschichte, lässt Epochen und Moden erkennen. Leider immer seltener: Durch das Verschwinden älterer Buchstaben und Beschilderungen aus dem Stadtraum gehen auch Erinnerungen verloren… Schriftzüge verschwinden nicht nur aus dem Blick, sondern auch aus unserem Bewusstsein. Und durch den wirtschaftlichen Erfolg internationaler Konzerne und Ketten sind leider in immer mehr Städten nur dieselben Schriftzüge und Logos zu sehen. Und »Et Feschhus« am Eigelstein heißt jetzt Reef House und verkauft Seafood.