SOLVEJG NITZKE: FARNE

Farnfieber: Dass sich die Liebe zum Farn bis zu einer exzessiven Sammelwut ausweiten konnte und als »Pteridomania« erst England und dann das ganze Commonwealth heimsuchte, ist Teil dessen, was die Autorin an historisch spannenden Fakten für ihr Pflanzenporträt ausgegraben hat. Das viktorianische »fern fever« erreichte seinen Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erfasste Männer wie Frauen. Für junge Damen und Ehefrauen aus dem Bürgertum war das Botanisieren und Anlegen von Herbarien neben Handarbeiten und dem Gärtnern eine der wenigen gestatteten Tätigkeiten, die Mädchen aus den »unteren Klassen« wiederum konnten sich ein paar Schillinge verdienen, indem sie im Wald seltene Farne sammelten und an Städterinnen und Städter verkaufen. Eine gewisse Berühmtheit erlangte Anna Atkins (1799–1871), die als »Fotografin« die Cyanotypie – die Technik des Eisendrucks – nutzte, um »Pflanzenbilder mit einer bisher ungekannten Präzision herzustellen«.

Schattengrün: Die in allen Abstufungen von Grün leuchtenden Farne gedeihen im Schatten von Gehölzen am besten, ihr natürlicher Standort ist der Wald. Typisch sind die vielfach geteilten, schwertförmigen Wedel, doch unter den zahllosen Arten reicht die Bandbreite von den Baumfarnen Neuseelands, die eher Palmen ähneln, bis zu so grazilen Arten wie dem Frauenhaarfarn. Manche sind immergrün, einige winterhart, viele sind giftig, andere sogar essbar, neben Bodenfarnen gibt es auch Epiphyten (Aufsitzer, die andere Pflanzen besiedeln) und Farne, die im Wasser wachsen. Anders als spektakuläre Blütenpflanzen stehen Farne als »Füllgrün« oft nicht im Mittelpunkt gärtnerischen oder botanischen Interesses. Grün ist als Gartenfarbe so selbstverständlich, dass Farne und Blattpflanzen wie Funkien gern als Hintergrund verwendet werden und noch den letzten schattigen Fleck begrünen. Dennoch fasziniert ihr Formenreichtum viele Menschen.

Farn-Flair: Farnbewunderung konnte bildende Künstler, Dichter und Schriftstellerinnen begeistern, auch darauf kommt Solvejg Nitzke in ihrer Kulturgeschichte der Farne zu sprechen. Der Neurologe Oliver Sacks (1933–2015) reiste als Mitglied der New Yorker Farngesellschaft zu einer Exkursion nach Mexiko und widmete eines seiner Bücher dem »wunderbaren Farnabenteuer«. Erhellend Nitzkes Interpretation des »Farnkapitels« in »Far from the Madding Crowd«, einem berühmten, 1874 erschienenen Roman von Thomas Hardy (1840–1928). Darin findet eine entscheidende Szene zwischen Bathsheba und dem Draufgänger Troy in einer Grasmulde im Farndickicht statt. Der Zusammenhang von geheimem Sex und Farn wird zumindest angedeutet, die sonst so vernünftige Protagonistin eilt schon erregt zum Treffpunkt und betritt den Schauplatz »bis zu den Schultern hinaus von weichen, fiedrigen Wedeln umschmeichelt«. Weiteren »Farngeheimnissen« in Mythen und Legenden widmet die Autorin ebenfalls Kapitel. Da die Fortpflanzungsweise der Farne (über Sporen) lange unentdeckt blieb, schrieb man ihnen eine unsichtbare Blüte und den Farnsamen magische Eigenschaften zu. So meint die einer »alten Hexe« ähnelnde, quacksalbernde Nachbarin in Theoder Fontanes »Unterm Birnbaum« (1885) zu wissen, wie man sich unsichtbar macht: »am besten aber sei Farnkrautsamen in die Schuhe oder Stiefel geschüttet.«

Naturkunden: Das höchst sorgfältig gestaltete Buch mit haptisch angenehmem Papier und vielen Abbildungen ist schon Band 108 der von Judith Schalansky herausgegebenen Reihe »Naturkunden«. Zu den Pflanzen porträtierenden Titeln gehören etwa die Bände zu Birken, Tannen, Kakteen und Hanf, einige mehr sind Tieren gewidmet. Daneben erscheinen Klassiker des »nature writing« wie die Bücher von Robert Macfarlane und Einzeltitel wie »Verlassene Orte« von Cal Flyn.

 

Solvejg Nitzke, Farne. Ein Portrait, Matthes & Seitz, Berlin 2024

Farn Bretagne Jardin Georges Delaselle