SERGE GAINSBOURG: RUE DE VERNEUIL PARIS
Haste Töne? Die 1960er-Jahre in Paris waren nicht nur die Ära der Intellektuellen und Existenzialisten, sondern auch von France Gall und »Poupée de cire«, Brigitte Bardot und »Harley Davidson«, Jane Birkin und »Je t’aime«. Ihre Songs schrieb Serge Gainsbourg, der weder Tabus kannte noch Berührungsängste mit zuckersüßem Pop. Der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer überlebte die Besatzungszeit unter den Nazis und war zeitlebens von Selbstzweifeln geplagt, nicht nur wegen seiner Segelohren und seiner »Fresse«. Dennoch ließ der Bürgerschreck keine Provokation aus – in einer TV-Sendung zündete er einen 500-Franc-Schein an, sein gestöhntes Duett mit Jane Birkin löste einen Skandal ohnegleichen aus, sein Song »Lemon Incest« mit seiner halbwüchsigen Tochter Charlotte kaum weniger, und übel nahm man ihm auch, dass er die Nationalhymne »Marseillaise« als Reggae eingespielt hatte.
Chansonnier und Charmeur: Der Womanizer und Maulheld, Romantiker und Zyniker (2. April 1928 – 2. März 1991), der als Sänger, Texter und Komponist die französische Popkultur prägte und mit Filmmusik und Drehbüchern auch Kino und Literatur beeinflusste, liefert locker Stoff für mehrere 100 Seiten Rock‘n’Roll – für die Franzosen ist er für Elvis, Bob Dylan und Mick Jagger in einem. Mit Graffiti überall in Paris, Street-Art an seinem Haus in der Rue de Verneuil und kleinen Gaben, Blumen und Bildern am Grab auf dem Friedhof Montparnasse halten seine Fans den französischen Chansonnier in kultigen Ehren. Einfach mal die BHs, Zigarettenkippen und Briefchen zählen, die auf seinem Grabstein abgelegt werden – auf dem auch Kohlköpfe und Metrotickets für den »Homme à tête de chou« und Schöpfer des »Poinçonneur des Lilas« deponiert werden sowie die Botschaft »Du fehlst uns so sehr«.
Tu nous manque tellement: 1969 zog Gainsbourg mit Jane Birkin, ihrer Tochter Kate in die Nummer 5 der Rue de Verneuil (das überlebensgroße Pop-Graffiti des Paars stammt von Street-Artist Jo Di Bona). Zu seinem ehemaligen Wohnsitz pilgern (außerhalb von Pandemiezeiten) Tausende von Bewunderern – nun will Charlotte Gainsbourg das Haus im Lauf des Jahres 2021 für das Publikum öffnen (Nachtrag im Juli 2023: Ende September 2023 wird die Maison Gainsbourg nun tatsächlich eröffnet, die online reservierbaren Termine sind für Monate bereits ausgebucht). Mehr als zwei Jahrzehnte hat Serge Gainsbourg dort gelebt, und seine Tochter hat den Wallfahrtsort im 7. Arrondissement im Originalzustand erhalten – so als wäre ihr Vater nur kurz weggegangen. Das Museum soll voraussichtlich »Maison Serge Gainsbourg« oder »L’Hôtel particulier« nach einem Songtitel heißen. Heute vor 30 Jahren starb Serge Gainsbourg im Alter von 62 Jahren an einem Herzinfarkt.