MERCI BEAUCOUP, PARIS: OLYMPISCHE SPIELE 2024

GASTBEITRAG VON DR. CHRISTOPH FISCHER: Es ist, gefühlt, schon wieder so lange her, doch es wird unauslöschlich in Erinnerung bleiben. Paris war großartig, Paris war vielleicht einmalig, ein olympischer Höhepunkt, nach Coronakrisen und problematischen Ausrichtern war Frankreichs Metropole die triumphale Rückkehr auf den Olymp. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Spiele in Paris eine »Inspiration«, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sprach von einer »Liebesgeschichte«.

Alles, was im Vorfeld von Paris drohte, trat nicht ein. Verkehrschaos, Sicherheitsprobleme, Terror. Nichts passierte. Unabhängig von der Sportart, alle olympischen Arenen ausverkauft, begeisterte Menschen auf den Tribünen. Da machte selbst der Moderne Fünfkampf, der Sport des Baron Pierre de Coubertin, dem Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, am Schlusstag in Versailles keine Ausnahme. Und auch wenn Betrieb und Verkehr manchmal bedrückende Ausmaße annahmen, die Spiele der 33. Olympiade der Neuzeit waren eine Erfolgsgeschichte. Ein Erfolg der Menschen dieser Stadt, die nicht nur eine Kulturmetropole, sondern eine Olympia-Metropole ist.

Es bleiben die fantastischen Bilder einer Stadt, die sich als olympisches Zentrum der Welt präsentierte. Und auch, wenn das eine oder andere vor allem für das Fernsehen geschaffen schien, die Bilder wichtiger machten als die, die sie produzierten, die Athletinnen und Athleten. Schwimmen in der Seine war ein Produkt von Marketingstrategen, eine Kloake zum Schwimmbad umzufunktionieren, ging daneben. Aber Athletinnen und Athleten hielten das Fragwürdige aus, was sich in den Fluten des Wahrzeichens der Metropole abspielte und wurden krank. Für Anne Hidalgo war Schwimmen in der Seine ein politisches Programm, man hätte der Pariser Bürgermeisterin klügere Pläne zugetraut. Dagegen war allein die Beachvolleyball-Arena vor dem Eiffelturm ein Geschenk – aber nicht nur dort, überall präsentierte sich Olympia als das, was es ist, ein Zentrum der Welt, in dem die Kriege zumindest für kurze Zeit aus dem Blick rückten. Polizisten wurden bei Kontrollen beklatscht, in der Metro wurde getanzt, überall Musik, es waren unbeschwerte, aber anstrengende Tage. Tage in Paris, die man nicht vergisst. Tokio vor drei Jahren unter Coronabedingungen blieb da nur noch ein trauriger Gegenentwurf.

Die deutsche Olympiamannschaft legte einen starken Endspurt hin, der seit Barcelona 1992 anhaltende Negativtrend konnte aber nicht gestoppt werden. Den Deutschen ist die Sporttradition verloren gegangen, es wird Zeit brauchen, wieder aufzubauen, was schon einmal vorhanden war. Dieser deutsche Sport, Schwimm-Olympiasieger Michael Groß hat das gesagt, wird sich strukturell neu orientieren müssen, wenn er in die ehemals vorhandene Erfolgsspur zurückfinden will. Was nichts an herausragenden Leistungen Einzelner ändert. Michael Jung, der Reitmeister aus Horb, eröffnete die Reiter-Wettbewerbe im Schlossgarten von Versailles mit eindrucksvollem Gold in der Vielseitigkeit, überhaupt die Reiter, sie erwiesen sich einmal mehr als ein vom Deutschen Olympischen Sportbund unabhängiges sportlichen Erfolgsteam. Die Handballer scheiterten chancenlos im Versuch, in Lille Gold gegen Dänemark im olympischen Finale zu gewinnen, das 26:39 am Schlusstag war ein desillusionierender Klassenunterschied. Den Fußballerinnen blieb Bronze, deutsche Schwimmer wie Lukas Märtens gewannen wieder Gold, sogar die Leichtathleten beteiligten sich am Endspurt um die Medaillen.

Dass die Supermächte USA und China die Arenen beherrschen würden, war erwartet worden, der Rest der Welt folgte mit Abstand, obwohl die Franzosen und die Engländer ihn weiter verringern konnten. Deutschland bestätigte den Abwärtstrend der letzten Jahrzehnte, so bleibt die Frage aktuell, wieviel Wert das Land dem Sport, nicht nur dem olympischen, zukünftig beimisst. Etwa angesichts der Tatsache, dass in Deutschland nur noch jedes zweite Schulkind schwimmen lernt und eine Rolle vorwärts beherrscht. Da sind die Dinge zu verbessern, die seit Jahrzehnten schieflaufen.

Die anderen Nationen überholen Deutschland im Sport, weil die Struktur des Spitzensports längst nicht mehr stimmt. Wo andernorts neue Modelle mutig ausprobiert werden, blockiert sich der Sportapparat in Deutschland jeden Tag aufs Neue. Russland und Belarus waren wegen des Angriffs auf die Ukraine nicht in Paris, das Dopingproblem spielte in Paris nur zum Auftakt eine Rolle, als die chinesischen Schwimmer unter Generalverdacht an den Start gingen. Léon Marchand, ein Schwimmer aus einem anderen Universum, wuchs in der La Défense Arena zum französischen Nationalhelden, gewann Gold über 400 Meter Lagen, 200 Meter Lagen, 200 Meter Schmetterling und 200 Meter Brust in einer Weise, die weltweit Trainer auf den Gedanken bringen muss, andere Muster zu trainieren als die, die sie gewohnt sind. Auch da ist die Zeit zum Umdenken längst gekommen.

Vielleicht ist eine deutsche Olympiabewerbung ein Wendepunkt. Der Kanzler scheint motiviert, auch wenn er nicht mehr Kanzler sein wird, sollte irgendwann Olympia nach Deutschland kommen. Frühestens 2040, ein halbes Jahrhundert nach der deutschen Vereinigung. Dann soll Deutschland in die Top Fünf des Weltsports zurückgekehrt sein. Dazu wird das gesamte deutsche Sportgebäude aber neu konzipiert werden müssen.

Paris Hôtel de Ville Olympische Ringe