KLIMAWANDEL UND DER WEINBAU IM BORDELAIS
Zu viel Alkohol im Wein: Früher herrschten im Süden Frankreichs ideale Bedingungen für den Weinanbau – ausreichend Sonnenstunden, keine Spätfröste im Winter, trocken-warmes Klima im Frühjahr und Herbst. Jahrhundertelang war das Bordelais wie geschaffen für kräftige, tanninreiche Rotweine, die den Ruhm der Region ausmachen, denn zu viel Nässe mag die Vitis vinifera, die Weinrebe nicht. 2018 wurde der Wein 15 Tage früher geerntet als noch vor 30 Jahren. Begann früher die Weinlese Mitte September, geht es jetzt manchmal schon im August los. Warum? Höhere Temperaturen beschleunigen die Fruchtreife. Das heißt: Weniger Säure, weniger Tannine, mehr Zucker – der Wein büßt an Qualität ein und entwickelt bei der Gärung mehr Alkohol, er wird süß und verliert an Nuancen und Frische. Mit dem Klimawandel aber werden die Hitzeperioden länger und häufiger. Genau das ist jetzt schon ein Problem: zu heiße Sommer, zu reife Beeren. Die Öchslegrade steigen, der Wein wird schwerer und alkoholreicher. Der »Jahrhundertsommer« 2003 gilt deshalb als einer der schlechtesten Jahrgänge im Bordelais. Auch damals führte die Hitze zu einer sehr frühen Weinernte.
Winzer als Klimaflüchtlinge: Dass die durchschnittliche Jahrestemperatur in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, verändert die Weinkultur. Wie reagieren die Winzer auf den Klimawandel mit Dürreperioden und Hitzewellen im Sommer und steigenden Durchschnittstemperaturen? Bewässern mit dem Helikopter, Sonnensegel spannen, im Betontank ausbauen statt im Barrique? Einige französische Winzer im Languedoc wurden schon zu Klimaflüchtlingen und wichen in höhere und kühlere Lagen aus. Im Bordelais, wo auf Höhen zwischen 15 und 120 Meter angebaut wird, ist das Ausweichen in die Höhe eher ausgeschlossen. Also das ganze Weingebiet nach Norden verlegen? Trockenheit und Hitze werden im Bordelais und im Languedoc auf jeden Fall Bewässerungssysteme nötig machen, im Burgund und im Elsass aber womöglich eher Schutz vor Hagel und Starkregen – ausrechenbar ist der Klimawandel noch nicht.
Jedes Grad zählt: In Frankreich weckt die Entwicklung berechtigte Sorgen, und auch im Institut française de la vigne et du vin, dem wichtigen nationalen Weinforschungsinstitut, beschäftigt man sich intensiv mit dem Klimawandel. Denn das zunehmend heiße Wetter vertreibt nicht nur Winzer in höhere Lagen, sondern auch Weinsorten aus Frankreich. Bekannte Lagen sind hier mit spezifischen Rebsorten verbunden, das Burgund etwa mit Chardonnay und Pinot Noir, das Loiretal mit Sauvignon und Chenin Blanc. Doch gerade für jene Weine, die typisch für das Bordelais sind, wird es ungemütlich. Müssen sie nun hitzeresistenten, aber untypischen Rebsorten weichen, die mit Temperaturen über 40 Grad und Trockenheit zurechtkommen? Und werden die noch als Bordeaux gelten? Im INRA (Institut national de la recherche agronomique), dem französischen Institut für Agrarforschung, arbeitet man an der Trockenheitsresistenz der Pflanzen und an der Entwicklung einer Technologie zur »Entalkoholisierung« (désalcoolisation des vins). Bislang schreibt ein europäisches Gesetz von 2009 allerdings vor, dass der Alkoholgehalt maximal um 2 Prozent gesenkt werden darf. Das könnte zu wenig sein, wenn der Wein 18 Volumenprozent hat…
Alle reden vom Wetter: Und jetzt auch vom Klima. Ein typischer Bordeaux ist meist ein Cuvée aus Merlot und Cabernet Sauvignon. Trockenheit und Hitze verträgt Merlot allerdings nicht. Im Languedoc werden neue Parzellen mittlerweile meist mit Carignan bepflanzt, einer typischen Rebsorte des Südens, der die Hitze nicht so zusetzt. Aber eine Rebsorte zu finden, die genauso schmeckt wie Merlot, und die gleichzeitig Hitze und Trockenheit ertragen kann? Eine echte Herausforderung! Zumal es um viel Geld geht – weltweit werden pro Sekunde 23 Flaschen Bordeaux verkauft, und der Weinbau ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Region. Allein das Département Gironde besitzt mit 119 000 Hektar mehr Rebfläche als ganz Deutschland.
Reben aus dem Labor: Nicht nur die »Verbesserung« der alten Rebsorten steht im Fokus, auch die Einführung von Neuzüchtungen steht zur Debatte: Gerade hat die Interessengemeinschaft der Weinproduzenten aus Bordeaux und Bordeaux Supérieur die Nutzung von sieben neuen Trauben- und PIWI-Sorten zugelassen – auch dies eine Anpassung im Zuge des Klimawandels. Die Rebsorten – die vier roten Arinarnoa, Touriga Nacional, Marselan und Castets und die drei weißen Alvarinho, Petit Manseng und Liliorila – wurden primär aufgrund ihrer Pilzwiderstandsfähigkeit (PIWI), späterem Reifezeitpunkt und der Fähigkeit, auch bei wärmeren Temperaturen Säure, Aroma und das Beerenvolumen zu bewahren, zugelassen.
Bordaux aus Nordfrankreich: Mit steigenden Temperaturen rechnen sich plötzlich ganz neue Regionen von Großbritannien bis nach Dänemark und Schweden Chancen aus. Lange hieß es, nördlich des 50. Breitengrads könne kein trinkbarer Wein angebaut werden. Doch im Süden Großbritanniens produzieren Winzer schon seit Jahren erfolgreich Schaumweine. Es heißt, große Häuser aus der Champagne hätten längst begonnen, sich dort Terrain zu sichern (in Südengland gibt es ähnliche Kreideböden wie rund um Reims). Und Niedersachsen wurde durch eine EU-Regelung schon 2017 zur offiziellen Weinregion. Aber was sind Herkunftsbezeichnungen dann demnächst noch wert? Wenn die Franzosen portugiesische Rebsorten anbauen, die Deutschen auf Syrah setzen und der Riesling aus Dänemark kommt, was unterscheidet dann noch ein Weinbaugebiet vom anderen?