KESCHDEFESCHDE: KASTANIENZEIT IN DER PFALZ
Deutschlands zweitgrößte Weinregion: Das Pfälzer Weinanbaugebiet erstreckt sich auf 80 Kilometer Länge als etwa 5–10 Kilometer breites Rebenmeer von Norden nach Süden. Westlich ziehen sich die Weinberge an den Ausläufern des Pfälzerwalds hinauf, im Osten verebben sie allmählich in der Rheinebene. Aneinandergereiht sollen die Rebstöcke dieses zweitgrößten deutschen Weinbaugebiets drei Mal um den Äquator reichen! Entlang der Deutschen Weinstraße mit ihrem milden Klima reifen neben Trauben auch Mandeln, Aprikosen, Pfirsiche, Feigen und Kiwis, im Sommer säumen verschwenderisch blühende Oleander die Straßen und zieren die Innenhöfe der Weingüter, selbst mediterrane Zitronen- und Orangenbäume fühlen sich hier heimisch, und sogar Palmen und Zypressen begegnet man ab und an. Im Herbst bilden die gelb und rot leuchtenden Rebreihen bunte Streifen auf den sanften Hängen. An die 100 Weindörfer reihen sich hier eng aneinander, einige darunter eingemeindet als Ortsteile der Städtchen Grünstadt, Bad Dürkheim, Neustadt an der Weinstraße, Landau und Bad Bergzabern. Weinbau hat hier eine lange Tradition: Nicht nur über mehrere Generationen prägte er Broterwerb und Lebensweise – schon in römischer Zeit vor 2000 Jahren wurden hier Reben angepflanzt. Ansehnliche Winzerhöfe in den Dörfern dokumentieren, dass der Weinbau auch Wohlstand bedeutete. Ebenfalls schon seit der Römerzeit fühlen sich im milden Klima an der Pfälzer Weinstraße die Esskastanienbäume so wohl wie sonst nirgendwo nördlich der Alpen – eigentlich ist die »Castanea sativa« mediterrane Gefilde wie Korsika oder die Ardèche gewohnt. Wenn die Pfalz allerdings wie so häufig aufgrund der landschaftlichen Schönheit und des milden Klimas mal wieder als »Toskana Deutschlands« bezeichnet wird, reagieren die Pfälzer selbstbewusst: Die Pfalz sei die Pfalz, und «annerschdwu is annerschd«. Viel näher liege die Vermutung, die Toskana sei nur die Pfalz Italiens!
Oberhalb der Weinberge: Nicht nur Feigen wachsen in der sonnenverwöhnten Pfalz wie anderswo Apfelbäume, auch weitläufige Kastanienwälder breiten sich an den etwas höher gelegenen Hängen aus: Im »Revier« der Forstämter Annweiler und Haardt findet sich mit etwa 3000 Hektar die Hälfte aller deutschen Edelkastanienvorkommen. Vermutlich brachten vor gut 2000 Jahren die Römer die in Südeuropa weit verbreitete, wärmebedürftige Esskastanie als Nahrungspflanze mit in die Pfalz. »Die Kastanie ist des südlichen Klimas bester Zeuge«, merkte auch Bayernkönig Ludwig I. an und ließ Hunderte von Edelkastanien rund um seine Sommerresidenz Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben anpflanzen. Die essbaren Kastanienfrüchte, auch Maronen, Maroni und auf Pfälzisch Keschde genannt, sind botanisch gesehen eigentlich Nüsse. Doch während beispielsweise Walnüsse einen Fettanteil von 62 Prozent aufweisen, wartet die nahrhafte, aber kalorienarme Esskastanie – übrigens trotz ähnlichem Aussehen nicht mit der Rosskastanie verwandt – mit gerade mal 3 Prozent Fett auf. Zudem ist sie vitaminreich und leicht verdaulich, reich an Kalium, Kalzium, Phosphor, Eisen, Magnesium, Kupfer und Mangan. Bis zu 200 Kilogramm Ernte liefert jeder Baum, zu Mehl gemahlen früher als Brot- bzw. Getreideersatz ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Wer frische Früchte selber rösten will, sollte mit einem scharfen Messer die Schale kreuzweise einritzen und die Maronen im Backofen bei 200 °C etwa 15 Minuten rösten, bis sie aufspringen. Maronen sind übrigens eine etwas größere Sorte der Edel- oder Esskastanien, beide Bezeichnungen werden aber meist synonym gebraucht.
Zur rechten Zeit am rechten Ort: Meist im Oktober platzen die stacheligen Hüllen, und die Kastanien fallen von den Bäumen. Bis Mitte November finden in Annweiler, Edenkoben und Hauenstein Kastanienmärkte und »Keschdefeschde« statt (Kastanien heißen auf Pfälzisch Keschde): Klar, dass es dort auch über Holzkohlenglut geröstete heiße Maronen gibt. In den Restaurants stehen dann Kastanienmenüs auf der Speisekarte, am bewaldeten Haardtrand sammeln Liebhaber die »Brotfrucht« tütenweise ein. Der kulinarische Erfindungsreichtum ist groß, wenn sich wieder alles um die Herbstfrucht dreht: Keschdekuchen, Keschdebrot und Keschdeweck kommen aus der Backstube, Keschdesaumagen und Keschdeworscht sind deftige Hauptgerichte, glasierte Kastanien begleiten als Beilage Wildgerichte oder Gänsebraten, süße Kastaniencreme, -honig und -likör eignen sich auch zum Mitnehmen, Brot und Gebäck aus Esskastanienmehl sind glutenfrei und eignen sich auch für Allergiker.
Wandern: Der insgesamt knapp 60 km lange »Pälzer Keschdeweg« beginnt in Hauenstein, führt im Süden zunächst durch den Pfälzerwald und zieht sich dann am Haardtrand entlang, über Annweiler, Edenkoben und Maikammer bis nach Neustadt an der Weinstraße (www.keschdeweg.de), also vom Pfälzerwald bis in die Weinregion.
Hääschdner Keschdemarkt: Auf dem Hauensteiner Markt alljährlich am 3. Sonntag im Oktober zeigt sich, wozu all die Esskastanien verarbeitet werden – nicht nur zu Keschdesenf und Keschdelikör, auch in Kuchen und Brot, Wurst und Saumagen passen die Herbstfrüchte. Ob er am 18. Oktober 2020 stattfindet ist noch ungewiss und hängt von den (Corona)Umständen ab.
Meine Lieblingsweingüter in der Pfalz stehen hier.