FRANKREICHS PARKS UND GÄRTEN: VERSAILLES
Pomp und Grandeur: Noch unter Ludwig XIV. hatte der Hof zunächst keinen festen Aufenthaltsort und wechselte zwischen Fontainebleau, den Tuilerien, Saint-Germain-en-Laye, Chambord, Vincennes und Versailles. Ab 1661 wurde das kleine Jagdschloss seines Vaters südwestlich von Paris zum größten und prächtigsten Schloss Europas erweitert, das vielen anderen Monarchen zum (unerreichten) Vorbild für ihre Residenzen werden sollte, so zum Beispiel in Potsdam, Wien und Sankt Petersburg. Mehr als fünf Jahrzehnte sollte es dauern, bis die imponierende Schlossanlage fertiggestellt war, doch schon 1682 siedelte der Hof dauerhaft hierher über. Von André Le Nôtre als ›französischer‹, der Geometrie und den Perspektiven verpflichteter Garten angelegt, sind Park wie Schloss vor allem auf Wirkung hin konzipiert, geschaffen für den Sonnenkönig, der damit Macht und Reichtum demonstrieren wollte. Unter seiner Regentschaft fand die Gartenkunst ihren Rang unter den bildenden Künsten, neben Architektur, Malerei und Bildhauerei. Kein Gartengestalter vor Le Nôtre, schreibt Stefan Schweizer in seinem Buch über den Hofgärtner, »besaß ein ihm vergleichbares Renommee, und auch kaum einer nach ihm« (André Le Nôtre und die Erfindung der französischen Gartenkunst, Wagenbach Verlag). Sein Ruhm verbreitete sich schon zu seinen Lebzeiten in ganz Europa.
Der Garten als Landschaft: Regelmäßig, so gut wie täglich scheint der Monarch zu Fuß durch den Park geschritten sein (es gibt sogar eine 1701 von ihm selbst verfasste Empfehlung für einen Rundgang), doch der Hofstaat ließ sich sicherlich mit noblen Karossen durch die 16 von hohen Hecken eingefassten Boskette seitlich der großen Mittelachse und durch die zahlreichen geradlinigen Alleen kutschieren. Dann ging es zum »Ballsaal« im Muschelboskett, zum Wassertheater oder zum 60 Meter breiten und rund anderthalb Kilometer langen Grand Canal, dem Schauplatz vieler Wasserfeste. Manchmal schwammen eine große Galeere oder Gondeln darauf, dem Sonnenkönig 1674 samt Gondoliere aus Venedig geschickt, zu Staatsbesuchen auch mal mit Geschützen ausgerüstete Boote. Heute erscheint es manchmal langweilig, zu Fuß durch den weitläufigen, auf große Perspektiven hin konzipierten Park zu spazieren. »Zu viel Weite erschlägt. Zu viel Leere zwischen den Bäumen, zu viel Stille in den zu breiten Alleen.« (Érik Orsenna). In seinem »Porträt eines glücklichen Menschen« (DTV), das er dem schöpferischen »Gärtner von Versailles« widmet, erinnert Orsenna daran, nicht das Gehör zu vergessen: »Versailles war nicht so, wie wir es heute kennen, war nicht dieser gigantische Stummfilm, erstarrt in eisiger Stille.« Überall wurde gesungen und getanzt, ertönten Serenaden, probte man Opern, kein »Boskett ohne verborgenes Orchester«.
Orangerie und Zitrusgarten: An europäischen Höfen zählte es durchaus zur Demonstration von Reichtum und Prunk, exotische Gewächse zu besitzen. Für die fremdartigen Pflanzen, die Entdecker von ihren Reisen mitbrachten, wurden eigens eigene Gebäude errichtet, sogenannte Orangerien, in denen die frostempfindlichen Kübelpflanzen den Winter überstehen konnten. Denn besonders angetan hatten es Fürsten und Herrschern die Zitrus- und Orangenbäumchen mit ihren dekorativen, farbig aus den dunkelgrünen Blättern leuchtenden Früchten. In Versailles ließ der französische König Ludwig XIV. den ganzen Südflügel für die kostbaren Pflanzen einrichten. Fast 160 Meter lang ist die mittlere Galerie, die Mitte der 1680er-Jahre der Architekt Jules Hardouin-Mansart errichten ließ, mit großen Rundbogenfenstern für genügend Lichteinfall. Zwei weitere Galerien sind unter den monumentalen Treppen der hundert Stufen angeordnet und flankieren das gigantische Orangerie-Parterre an den Seiten. Im Frühjahr werden mehr als 1000 Kübelpflanzen nach draußen gebracht und entlang der vier ornamentalen Rasenflächen und des runden Bassins in der Mitte aufgestellt.
Glasperlenspiel: Hunderte von Statuen, Brunnen und Blumenrabatten lockern die symmetrische Strenge des Parks auf. Das Wassertheater, einst Inbegriff barocker Gartenkunst, gibt es nicht mehr. Pläne zur Restaurierung wurden verworfen und das Bosquet du Rond Vert durch Landschaftsarchitekt Louis Benech zum zeitgenössischen Garten umgestaltet. Für den Brunnen des einstigen Théâtre d’Eau entwarf Jean-Michel Othoniel ein glitzerndes Perlencollier, gefertigt aus Metall und mundgeblasenem Glas. Die Murano-Glaskugeln sind das Markenzeichen des französischen Künstlers, der auch mit dem Eingang zur Metrostation Palais-Royal die schmuckvollen Jugendstil-Entwürfe von Hector Guimard neu interpretierte. »Les Belles Danses« erinnert als Hommage an das Faible des Sonnenkönigs für Tanz und Ballett – er trat selbst gern in den von Raoul-Auger Feuillet für den Hof kreierten Choreographien auf und soll mehr als zwei Jahrzehnte Tanzstunden genommen haben.
Wassermagie: Mehr noch als in die Wäldchen als Naturerfahrung ist man im 17. Jahrhundert ins Wasser vernarrt. Mehr als 50 Brunnen und Bassins sind es insgesamt, als prominentester der Apollo-Brunnen. Dabei herrschte Wasserknappheit, weit und breit gab es weder Quellen noch einen nahegelegenen Fluss. Mit gewaltigen Anstrengungen und Erfindungsgeist wurde ein komplexes hydraulisches System von kilometerlangen Rohrleitungen und Aquädukten, oberirdischen Reservoirs und Zisternen, Windmühlen und Pumpen für die Wasserversorgung angelegt. Allein das Schweizer Becken ist mit 14 Hektar so groß wie 20 Fußballfelder, der Name erinnert daran, dass es von den Schweizer Gardisten ausgehoben wurde. Vor der Gartenfront des Schlosses breitet sich das Wasserparterre aus, über dessen zwei rechteckige Becken mehrere Bronzeskulpturen wachen, die allegorisch die wichtigsten Flüsse Frankreichs darstellen (auf dem Foto: La Loire). Zahlreiche Fontänen im Park sorgen für Wasserspiele, zur Zeit des Sonnenkönigs waren es mehr als 1500, die pro Stunde Tausende Kubikmeter Wasser benötigten. Darüber wachten eigens »fontainiers«, die dafür Sorge trugen, dass das Wasser überall sprudelte, wenn sich der König in den Garten begab. Per Pfiff gab der »Brunnenmeister« ihnen Bescheid, die Anlagen in Betrieb zu nehmen – und wieder auszustellen, wenn die adligen Besucher außer Sichtweite waren, denn die Springbrunnen und Kaskaden konnten nur sukzessive mit Wasser versorgt werden. Besonders sehenswert neben so berühmten Brunnen wie dem Latona-Becken: Vom Nordparterre hinab zu Drachen- und Neptunbassins führt die Wasserallee, die 22 Brunnen zieren – jeweils Gruppen von Kindern, die Schalen aus rotem Marmor tragen. Seitlich daneben versteckt sich das Boskett der drei Fontänen, das die Hangneigung für terrassenförmige Brunnen nutzt.
Websites: www.chateauversailles.fr
Schloss: Nov.–März Di–So 9–17.30, April–Okt. Di–So 9–18.30 Uhr
Park: im Winter 8–18, im Sommer 7–20.30 Uhr
Anfahrt: RER Linie C: Versailles–Rive Gauche