ELAINE DUNDY: EINE AMERIKANERIN IN PARIS

The Dud Avocado: Aus heutiger Perspektive wirkt es erstaunlich, dass »Eine Amerikanerin in Paris« im Jahr 1958 erschienen sein soll. Für die dumpf verklemmte Doppelmoral der Nachkriegsjahre sind die Pariser Abenteuer von Sally Jay Gorce recht freizügig. Vollends zu einer ungewöhnlichen Romanheldin macht sie die Tatsache, dass Sally gleich im ersten Kapitel einen Orgasmus erlebt, als der Mann, in den sie sich gerade verliebt hat, sanft ihren Arm berührt. Elaine Dundy soll sich später beklagt haben, dass Kritiker die Szene nicht als frühen ersten Schritt zur Darstellung weiblicher Sexualität in der Fiktion gewürdigt haben. Entgegen der Annahme, so ein Buch müsse Ende der 1950er-Jahre eine unerhörte Provokation gewesen sein, erhielt es glänzende Besprechungen, die Filmrechte wurden verkauft und das Buch entwickelte sich schnell zum Bestseller. »A good many shafts of bright satire illuminate these prancing pages«, schrieb die New York Times im Juli 1958, »a delightful few hours of sparkling reading entertainment«, hieß es in Newsweek. Der Originaltitel »The Dud Avocado« spielt auf die Naivität der typischen jungen Amerikanerin an, trotz der harten Schale ist sie noch »so grün – so ewig grün«. Auch die aufgeweckte und clevere Sally schlittert manchmal blauäugig und so stur wie wie stürmisch in ihre Abenteuer, das aber meist mit scharfsinnigen, witzigen Kommentaren und als aufmerksame und einfühlsame Beobachterin.

Warum pink? Das erste Mal begegnen wir der Protagonistin des Romans an einem Septembermorgen auf dem Boulevard Saint-Michel im Quartier Latin, als ihr ein Bekannter über den Weg läuft und sie mit einem Blick mustert, der zu gleichen Teilen aus Belustigung, Verblüffung und Entsetzen besteht. »Du hast dich ja wirklich voll reingestürzt«, kommentiert er ihr Outfit, denn Sally Jay trägt am hellichten Morgen ein Abendkleid, weil ihre anderen Sachen in der Reinigung sind, und hat sich die Haare »in dem großartigen hellen Rosaton gefärbt, der sich bei den Pariser Prostituierten in dieser Saison größter Beliebtheit erfreute«. Damit ist der Ton gesetzt, Sally ist zwar jung und chaotisch, »aber nicht auf den Kopf gefallen«. Großspurig erläutert ihr Bekannter Larry ihr den Unterschied zwischen authentischen Pariser Cafés und Touristenfallen, selbstgefällig bewertet er ihre »ausgeflippte Art« als ersten Schritt einer jungen Frau auf dem Weg in die Gosse: »Das Verlangen zu baden kommt ihr abhanden. Zur Hölle damit, sagt sie sich. Dann kommen wilde Frisuren, wilde Haarfarben, wilde Klamotten. Sie fängt an zu trinken und gerät auf die schiefe Bahn – abwärts und abwärts. Sie tanzt nachts auf den Straßen, heult den Mond an und wacht jeden Morgen in einem anderen Bett auf. Jawohl…« Sally, die sich gerade an beschwipstes Tanzen auf der Place de Furstenberg erinnert hatte und beim zweiten Pernod ist, wird wütend.

La vie de bohème: Die bezaubernd schräge Sally, erst vor Kurzem »von der Schulbank gehüpft«, führt ein Bohèmeleben, das ihr Onkel Roger ihr finanziert. Der Deal: Sally unterdrückt ihren lebenshungrigen »Weglauftrieb« und schließt die Schule ab, dann darf sie zwei Jahre lang tun, was sie will wo sie will. Die 21- oder 22-Jährige hat einen Liebhaber (ihren ersten, erfährt man später), ein verheirateter italienischer Diplomat, der Teddy genannt wird. Seines komplizierten Dreifachlebens mit einer weiteren Geliebten wird sie aber gerade überdrüssig, denn ein Homme fatal kann sehr lästig sein, »wenn sein fataler Charme einen nicht mehr vom Hocker reißt«. Am selben Abend wird Teddy sie ebenfalls »wegen möglichen Abkommens vom rechten Weg« verwarnen und Schlampe nennen, als Sally mit ihm Schluss macht, sie brauche eine starke Hand, am besten einen Ehemann. Den Vergewaltigungsversuch wehrt sie ab, indem sie Teddy ins Ohr beißt. »Erschöpft kam ich zu dem Schluss, dass es wahrlich kein Kinderspiel ist, in diesen aufregenden Zeiten eine Frau zu sein. Das sagte ich mir damals, und ich sage es noch heute: Irgendwie ist es nicht unser Zeitalter.« So ist es, doch glücklicherweise lässt sich Dundys Protagonistin nicht unterkriegen und muss meist eher lachen als die Dinge zu ernstzunehmen.

Tränen gelacht: Die amerikanische Schriftstellerin Elaine Dundy (1921–2008, in der deutschen Ausgabe steht fälschlicherweise 1927 als Geburtsjahr, geboren als Elaine Rita Brimberg, Dundy ist ihr Pseudonym) wuchs in New York auf. Als junge Studentin lebte auch sie selbst nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine Weile in Paris und synchronisierte dort französische Filme. Schlagfertig parierte sie die Frage nach den autobiografischen Anteilen im Buch: »Alles Unerhörte, was die Figur tut, ist autobiografisch, alles Verständige und Nachvollziehbare nicht.« Die autobiografischen Bezüge ihres ersten Romans sollten jedoch nicht davon ablenken, dass die Autorin an Dialogen und Stil bemerkenswert gefeilt hat. Viele überraschende und für die Zeit auch unerhörte Dinge passieren im Buch, einen Plot im eigentlichen Sinn dagegen gibt es nicht, auch wenn Sally allerhand erlebt. Warum man dieses Buch gern liest, liegt nur an Humor, Ironie und Understatement, mit der die Erzählstimme von den Erlebnissen und Begegnungen berichtet, von der Übersetzerin Anne Braun hervorragend ins Deutsche übertragen. Nicht nur ich habe Tränen gelacht: »The Dud Avocado made me laugh, scream and guffaw«, schrieb Groucho Marx in einem Brief an Elaine Dundy. Leider ist das Unterhaltsame des Romans auch sein Handicap – oft wiederentdeckt, oft wieder vergessen, aber kein Klassikerstatus. Auch das 2009 erschienene Fischer Taschenbuch ist nur noch antiquarisch erhältlich.

 

 

 

 

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