DREI AUTORINNEN DREI BÜCHER
Lesetipps für Literatur von Frauen: Doris Hermanns hat 2017 die Reihe Drei Autorinnen – drei Bücher für den BücherFrauen-Blog initiiert. Nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande lebt sie seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Fast fünf Jahre lang stellten BücherFrauen regelmäßig jeweils drei Autorinnen und drei einzelne Bücher vor, die ihnen persönlich wichtig sind – nach wie vor eine Fundgrube für Lesetipps, auch wenn die Reihe nicht mehr fortgeführt wird. Doris Hermanns ging es dabei um Sichtbarkeit von Autorinnen und deren Werken, denn immer wieder ist zu hören, dass viele Menschen noch nicht einmal drei Autorinnen nennen können, wenn sie gefragt werden – was tatsächlich schockiert. Ein anderer Gedanke dabei war, auf ältere oder gar vergriffene Bücher aufmerksam zu machen, vielleicht sogar Neuauflagen oder Übersetzungen anzuregen. Hier folgt mein Beitrag, der 2019 veröffentlicht wurde.
Marieluise Fleißer (1901–1974): Im Germanistik-Studium hatte ich mich für ein Brecht-Seminar angemeldet – und bekam gleich vier Mal die vierbändige Suhrkamp-Lyrik-Kassette zum Geburtstag. Offensichtlich hatte ich mich doch mit großem Enthusiasmus auf das Hauptseminar gefreut. Vor der Anmeldung musste man beim sich genialisch gebenden Literaturprofessor vorsprechen, der als bewunderter Star galt, und umfassende Brecht-Kenntnis belegen, nur so durfte man teilnehmen. Im Seminar war ich, habe aber danach nie wieder Brecht gelesen, höchstens mal eines seiner Stücke auf der Bühne gesehen. Dafür entdeckte ich Marieluise Fleißer, und das hat einerseits für immer mein Interesse an den Autorinnen der »Neuen Sachlichkeit« geweckt – und meine grenzenlose Begeisterung für diesen lapidaren und lakonischen, entlarvenden, unsentimentalen, verknappenden, ungemütlichen Stil. Damals habe ich noch viel in Büchern unterstrichen: »Das Mädchen war sehr schüchtern, hauptsächlich darum ging es ihm schlecht.« Aber dahinter steckte keineswegs nur identifikatorisches Lesen, sondern auch analytisches: »Ihr Männer habt das gern, wenn Ihr eine Frau dazu bringen könnt, daß sie wegwerfend von sich spricht.«; »Da waren wir miteinander ein Wesen aus Leiden und Tun, und Tun war seines und Leiden war meines.« (beides in: »Ein Pfund Orangen«). Gerade weil ich glaube, dass Lektüre für weibliche Rollenvorbilder eine wichtige Rolle spielt, und ich nicht möchte, dass Mädchen oder junge Frauen lesend nur rosarote Prinzessinnenwelten kennenlernen, kann ich Marieluise Fleißer als zeitlos aktuelles Gegenmittel zur rosa Brille empfehlen. Zum Beispiel die Erzählungen »Abenteuer aus dem Englischen Garten« und »Die im Dunkeln«.
Barbara Trapido (1941 geb.): Bis heute prägen meine Leseinteressen, dass ich Germanistin und Romanistin bin, daher blieben meine Ausflüge in die anglophone Bücherwelt weitestgehend auf die Klassiker von Jane Austen bis Virginia Woolf beschränkt. Mit Barbara Trapido verdanke ich der Übersetzerin und Bücherfrau Karen Nölle einen wunderbaren Lektüretipp, und da mich gleich der erste Roman der Schriftstellerin begeisterte, blieb es nicht bei diesem einen. Die in Südafrika aufgewachsene Barbara Trapido lebt heute in Oxford und schreibt Romane voller Sprachwitz und literarischer Bezüge, zugleich hintergründig und temporeich, unterhaltsam und ungeheuer komisch. Die geradezu Shakespeareschen Irrungen und Wirrungen der Plots – Liebesaffären und Kummer, Intrigen und Hass, Freundschaft und Rivalität, glückliche und unglückliche Zufälle – sorgen für Spannung, die flotten bis rotzfrechen Dialoge für größtes Lesevergnügen. Außerdem gefällt mir, dass die weiblichen Protagonistinnen stets zu ironischer Selbstreflexion und rabenschwarzem Humor aufgelegt sind. Da geht es in »Jonglieren« (1994) und »Der reisende Waldhornist« (1998) jeweils um zwei Schwestern, in »Fliegender Wechsel« (1982) um die junge Studentin Katherine, die in einer exzentrischen Familie landet. Das Ganze wird von Barbara Trapido derart augenzwinkernd, übertreibend und fröhlich verzwirnt, wie es wohl nur jemand kann, der mit der britischen Literaturtradition auf vertrautem Fuß steht. Übrigens: Karen Nölle hat »Jonglieren« auch übersetzt, und als die Ausgabe aus dem Berlin Verlag nicht mehr lieferbar war, in der Edition fünf schön ausgestattet wieder aufgelegt.
Vicki Baum (1888–1960): Irgendwie war Vicki Baum eine Schreiberin von unterhaltsamen, womöglich trivialen Romanen für mich, ohne dass ich je etwas von ihr gelesen hatte. Welche Vorurteile ich damit reproduzierte, begriff ich erst viel später. Ihr 1929 erschienene Roman »Menschen im Hotel« wurde ein weltweiter Erfolg, bald nach Erscheinen am Broadway inszeniert und wenig später von Hollywood-Studio MGM mit Greta Garbo verfilmt. Nach rund einem Dutzend Romanveröffentlichungen war Vicki Baum nun Bestseller-Autorin. Doch 1932 gab sie ihren Job als Redakteurin bei Ullsteins »Berliner Illustrierten Zeitung« auf und zog in die USA, wohl auch aus politischen Gründen. 1933 wurden in Deutschland ihre Bücher verbrannt, sie selbst von den Nazis als »jüdische Asphaltliteratin« diffamiert. Wie sehr die Zäsur von Drittem Reich, Exil und Sprachwechsel auch die Karriere einer der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Weimarer Zeit beendete, zeigt ihre Rezeptionsgeschichte im Deutschland der Nachkriegszeit. Ihr Debütroman »Stud. Chem. Helene Willfüer« (1928), der sie bekannt gemacht hatte, war so gut wie vergessen. Im Ausland dagegen wurden ihre auf englisch verfassten Romane in den 1950er-Jahren oft verfilmt, beispielsweise auch »Die Karriere der Doris Hart« (1936), die Geschichte einer nach New York ausgewanderten Deutschen, die dort Opernsängerin wird. Musste ich mir Vicki Baums Bücher zunächst in Antiquariaten zusammensuchen, »Vor Rehen wird gewarnt« etwa als vergilbtes Ullstein-Taschenbuch, sind dank des gewachsenen Interesses heute auch einige Bücher wieder lieferbar. Ich lese ihre Bücher wie beispielsweise »Pariser Platz 13« (Aviva Verlag) deswegen so gerne, weil die Autorin nicht nur die moderne, berufstätige, vom Mann finanziell unabhängige, selbstbestimmte »Neue Frau« der 1920er-Jahre in ihren Romanen teils zur Protagonistin macht, sondern selbst auch verkörpert hat. Ihre präzisen, atmosphärisch dichten Schilderungen des Berlins der 1920er-Jahre machen Vicki Baum zu einer wichtigen Vertreterin der Neuen Sachlichkeit.
Diana Athill – stet: Weil der Platz in meinen Regalen nicht dafür ausreicht, kann ich Bücher nicht sammeln – mit einer Ausnahme: Verlagsporträts, Verleger-Autobiografien und -Biografien. Wenn mal eine Frau darunter ist, wie die Literaturagentin Ruth Liepman oder Diana Athill, greife ich besonders gern zum Buch über Bücher. Mit »stet« hat Diana Athill, die bekannteste Lektorin Großbritanniens, einen Rückblick auf fünf Jahrzehnte in der Londoner Verlagswelt geschrieben. Der Titel – stet – ist der lateinische Begriff für die Anweisung an den Drucker »stehen lassen« und korrigiert sozusagen eine vorherige Korrektur. Seit Diana Athill (1917 geb.) sich in den 1990er-Jahren im Alter von 75 zur Ruhe setzte, sind eine Reihe von Memoirenbänden von ihr erschienen, auch über ihre Kindheit; mit diesem soll »stehen bleiben«, was sie an ihrer Arbeit als »editor« im London der Nachkriegszeit für erinnerungswürdig hält. Mit britischem Understatement macht Diana Athill kein großes Aufheben um ihren Anteil an Bucherfolgen, doch es lässt sich viel zwischen den Zeilen lesen: »Editorial intervention ranged from very minor matters (a clumsy sentence here, a slight lack of clarity there) to almost complete rewritings…«. Anderes kommentiert sie mit knochentrockenem Witz – die Szene mit sechs Köchen in einer Buchhandlung ist filmreif. Was sich bis heute nicht geändert hat: Am Laufen gehalten wurde auch damals schon die Verlagsbranche von schlecht bezahlten jungen Frauen, »so eager to work with books that they would endure poverty and pain to do so«. Derweil die deutlich besser gestellten Männer in Herstellung, Vertrieb und Marketing sich niemals mit solch niedrigen Gehältern zufriedengegeben hätten, »all usually married men who would very properly not have taken the job for less.«
Amanda Michalopoulou – Oktopusgarten: Eine Zeitlang habe ich für ein Kölner Stadtmagazin Buchbesprechungen geschrieben und mir dabei alle Mühe gegeben, Frauen auszugraben, Verlagskataloge nach unbekannten Autorinnen zu durchforsten und dabei auch selbst wunderbare Entdeckungen gemacht. Leider hat das Engagement für Bücher abseits des Mainstreams und jenseits der Bestsellerlisten dann auch zum Ende meiner Tätigkeit geführt: Nach zwei, drei Jahren war das Magazin es leid, dass ich (vielleicht) dem ein oder anderen Buch eine Leserin mehr verschaffte, nicht aber dem Magazin ganz viele. Der Roman »Oktopusgarten« (1999) von Amanda Michalopoulou gehört zu meinen schönsten Lektüren aus dieser Zeit. Als mit Preisen bedachte Senkrechtstarterin in der griechischen Literaturszene fand ihr Debüt mit Rotbuch auch einen deutschen Verlag. Die in Athen und Paris lebende Autorin liebt das Spiel mit raffinierten Bezügen und literarischen Verweisen, Ironie und Parodie. Entstanden ist ein witziger und mit Schwung erzählter Roman über eine verkorkste Familie: Die Ich-Erzählerin Athina schlägt sich als Übersetzerin durch, ihr Vater, ein pensionierter Professor vegetiert seit seiner Scheidung vor dem Fernseher dahin, die lange magersüchtige Mutter kocht aufwendige Gerichte, die sie in Formalin zu Kunstwerken mit Namen wie »Diät I« oder »Null Kalorien« macht. Denn Essen und die Liebe zum Kochen sind das zweite Thema dieser in zahlreichen Gängen angerichteten Familiengeschichte. Zu verzwickt und doppelbödig ist Athinas Suche, um eine Handlung nachzuerzählen, doch der unkonventionelle, so witzig wie kunstfertig erzählte Roman ist frisch und überraschend.
Misia Sert – Pariser Erinnerungen: Für meine Reiseführer lese ich gerne Geschichtsdarstellungen, kulturgeschichtliche und andere Sachbücher, aber um sich die Atmosphäre verschiedener Epochen in einer Stadt wie Paris gegenwärtig zu machen und als zeitgeschichtliche Dokumente finde ich nichts geeigneter als Autobiografien. Simone Signorets »Ungeteilte Erinnerungen«, Simone de Beauvoirs Kriegstagebuch aus dem besetzten Paris, die Erinnerungen von Clara Malraux, Sylvia Beachs »Shakespeare and Company«, Adrienne Monniers »Rue de l’Odéon«, oder Claire Goll und ihr »Ich verzeihe keinem« sind nur einige davon. Besonders beeindruckt haben mich die »Pariser Erinnerungen« von Misia Sert. Schon auf den ersten zehn Seiten wird klar, dass hier keine Künstlerwitwe sich als weibliche Hälfte eines Paars an schillernde Begegnungen und historische Ereignisse im Schatten des berühmten Gatten erinnert. Zwar sind auch in Misia Serts Memoiren mehr als genug berühmte Männer von Picasso bis Strawinsky immer wieder Thema, doch bevor das Mädchen überhaupt erwachsen ist, hat sie schon mit bösen Stiefmüttern, Selbstmorden von Onkeln und Tanten, dem Tod ihres Bruders sowie der Pleite ihrer Großmutter zu tun, sodass sie in eine erste Ehe flieht: Mit 14 läuft sie von zuhause weg, mit 15 Jahren ist sie verheiratet. Und so geht es munter weiter, ihr erster Mann bringt sein Vermögen durch und das ihres Bruders und verkauft sie so quasi an seinen Gläubiger, der ihr zweiter Mann wird. Aber Misia (1872–1950) lässt sich nie unterkriegen…