DENNIS DUNCAN: INDEX, EINE GESCHICHTE DES
Rückwärts lesen: Aus Gewohnheit habe ich vorn im Buch begonnen zu lesen, erst die Einführung, dann Seite für Seite. Bis mich das vierte Kapitel auf die Idee gebracht hat, hinten anzufangen. Denn darin geht es um Nutzer, die sich nicht die Mühe machen, das ganze Buch zu lesen, sondern nur das Register studieren, um auf weniger strapaziöse Art mit scheinbar tiefreichender Kennerschaft bluffen zu können. Für die einen ist ein Register eine Art Vorschau auf den Inhalt, für andere, die den Text komplett gelesen haben, eher eine Erinnerung, ein »Weg zurück ins Buch«. Ohnehin hatte ich schon vorab geschaut, wie umfangreich das Register ist: 45 Seiten, beachtlich! Also heißt es blättern und schauen, was das Buch »Index, eine Geschichte des« von Dennis Duncan so enthält. Den auffälligsten Schabernack habe ich auch gleich entdeckt – ein paar zirkuläre Verweise: vergeblich siehe zwecklos, sinnlos siehe vergeblich, zwecklos siehe sinnlos, illusorisch siehe sinnlos, hoffnungslos siehe illusorisch. Auch die beiden deutschen Bearbeiter des Registers verweisen nur aufeinander, und weitere Einträge. Na ja, so expectable… Aber ein bierernstes Register wäre auch eine Enttäuschung gewesen.
Vom Finden: Die kapitelweise Abfolge führt mich eher durch die Chronologie: Ab wann gab es überhaupt Seitenzahlen oder die alphabetische Ordnung, welches sind die ältesten Register, das sind interessante Fragen, denen der Autor kenntnisreich nachgeht. Das Register seines Buchs lenkt mich dagegen zu den Besonderheiten, weil mein Interesse nicht bei den erwartbaren Stichworten wie etwa »Sachregister, Aufkommen von« haltmacht, sondern bei »Umschlaggedichte«, »Register zu Tränen«, »Abenteuer einer Lage Papier«, »Register zu Belletristik«, »Imaginäre Bücher«. Beim Zurückblättern lande ich dann bei den erstaunlichsten Registervarianten, die Dennis Duncan aufgetrieben hat – die visuellen Register zu Emily Dickinsons Umschlaggedichten, die Kurzgeschichte »Der Index« eines Science-Fiction-Autors in der Erzählform eines Registers, das Register zu Tränen mit Angaben zu allen Stellen in einem Buch, wann immer eine Person weint, schluchzt, heult, Tränen vergießt, die Index-Serie eines uruguayischen Künstlers zu imaginären Büchern, das Register zum 75-seitigen Register, das Samuel Richardson zu seinem Roman »Clarissa« erstellt.
Index/Register: Ich weiß nicht mehr, wie viele Stichwortverzeichnisse – teils »einfach« alphabetisch, teils getrennt nach Personen, Orten, Schlagworten, teils mit Unterpunkten, teils nach Titeln wie bei Lyrik – ich im Lauf meines Berufslebens als Lektorin erstellt habe. Das Alphabet sei das »alleinige Ordnungskriterium«, behauptet Wikipedia, nur bereitet schon das manch einem Indexer Schwierigkeiten: La Rochelle unter L oder R? Die Marquise de Pompadour doch bitte nicht unter M und König Ludwig XIV. nicht unter K. »Selbst die Herstellung einer alphabetischen Ordnung ist nicht so eindeutig wie es scheint.« Buchstabe für Buchstabe oder Wort für Wort (mehr dazu in Kapitel 8)? Die Verschlagwortung ist eine Kunst, und in jedem Register spukt »unweigerlich der Registermacher oder die Registermacherin« herum. Aus der Ausbildung von Volontärinnen und Volontären im Verlag könnte ich die ein oder andere Anekdote erzählen, doch Dennis Duncan bleibt natürlich nicht auf einer rein unterhaltsamen Ebene der Schusseligkeiten und Schlampereien. In seiner so kurzweiligen wie anregenden Geschichte des Registers geht es auch um Polemik und Streitigkeiten, um Scherzregister, Humor und Satire, um Buchdruck und Bibliotheken, Ordnungssysteme und Digitalisierung. Nur kleinere Kritikpunkte: ein bisschen weniger anglophone Zentrierung hätte dem Buch gutgetan, und beim »Register« von Sherlock Holmes dürfte es sich eher um ein Archiv handeln, da sollte wohl unbedingt noch etwas »Populäres« ins Buch …
Dennis Duncan: Index, eine Geschichte des. Vom Suchen und Finden, Antje Kunstmann Verlag, München 2022