AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN: VERBOTENE BÜCHER
Im Literaturhaus: Das scheinbar historische Thema ist aktueller ist denn je. Seit Ende Oktober widmet sich das Münchner Literaturhaus mit einer Ausstellung »verbotenen Büchern«. 90 Jahre nach den nationalsozialistischen Bücherverbrennungen ist Salman Rushdie, gegen den Iran eine Fatwa verhängte, nur das prominenteste Beispiel mit seinem Buch »Satanische Verse«, von dem immer wieder Exemplare verbrannt wurden und werden. Rund um den Globus schreiben Autorinnen und Journalisten bedroht von Zensur, besonders eifrig beim Verbieten sind nicht nur autoritäre Regimes und Diktaturen, sondern überaus hartnäckig gerade auch einige Staaten in den USA.
Politik Moral Religion: Auf den Listen verfemter Bücher, die zwischen 1933 und 1945 aus Bibliotheken und Buchhandlungen verbannt wurden, landeten Titel, weil sie einen progressiven Zeitgeist spiegelten, weil sie »linkes« Gedankengut verbreiteten, weil sie für Emanzipation der Frau oder für andere Geschlechterrollen eintraten, für Homosexualität oder Pazifismus – oder weil sie von jüdischen Autor:innen verfasst wurden. Literarische Werke treffen auf »Schundromane«, politische Schriften auf Bücher zur Sexualaufklärung. Im Raum, mit Metallgerüsten und rohen Holzlatten wie eine Art Baustelle inszeniert, umreißen die drei Begriffe »Moral. Politik. Religion« in Neonpink die Antwort auf die Frage: Aus welchen Gründen gab und gibt es Zensur? An Schnüren baumelnde Karten geben Auskunft, was gerade an einzelnen Büchern so gefährlich, so obszön oder unsittlich, so kritisch, so staatsgefährdend oder so blasphemisch erschien. Mit »Das andere Geschlecht« von Simone de Beauvoir setzte der Vatikan ein weltweit rezipiertes Hauptwerk feministischer Theorien auf die Liste verbotener Bücher. In diesem »Index librorum prohibitorum« führte die katholische Kirche schon seit der Inquisition Bücher auf, deren Lektüre als Sünde galt. Als eines der letzten geriet im Jahr 1949 dieser Schlüsseltext der Frauenbewegung auf den Index der rund 6000 verbotenen Bücher. Andere Beispiele für Zensur beruhen auf Sexszenen und Gewaltdarstellungen, der Thematisierung queerer Biografien oder »jugendgefährdender« Inhalte.
Eine Entdeckung: Auf Monitoren flimmern Filmsequenzen in Dauerschleife, darunter ein Interview mit Annette Kelm (geb. 1975), die für ihre Serie »Die Bücher« eine ganze Reihe von Bänden fotografiert hat, die den Verboten des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer fielen. Als Ausstellung bereits in Berlin, Kiel und Wien zu sehen, war das Anliegen der Künstlerin, mit ihrer Arbeit die Aufmerksamkeit von den Tätern auf die Opfer zu lenken. Wo in historischen Dokumentationen sonst immer nur brennende Bücher gezeigt werden, ein Haufen von Werken in Flammen, die die Nationalsozialisten als »undeutsches Schrifttum« diffamiert hatten, sind von ihr fotografierten Exemplare »Überlebende«. Für ihre Serie hat Annette Kelm rund 100 verbliebene Originalausgaben von verfolgten Autorinnen und Autoren in Bibliotheken und privaten Sammlungen aufgestöbert. Mit ihrer präzisen, sehr nüchternen fotografischen Inszenierung schafft die Künstlerin eine erneute Öffentlichkeit für diese Bücher, die die Zeit überdauert haben, wie auch für die Umschlaggestaltung und die außerordentliche künstlerisch-literarische Vielfalt der Buchkunst in der Weimarer Republik. Annette Kelm arbeitet mit ihren Fotografien gegen das Auslöschen und Vergessen, denn außer den (immer weniger werdenden) Zeitzeugen können auch Objekte für die kollektive Erinnerung wichtig werden. Einen ähnlichen Gedanken verfolgte die argentinische Konzeptkünstlerin Marta Minujín im Jahr 2017 mit ihrem »Parthenon der Bücher«. Anlässlich der documenta14 im Jahr 2017 hingen 50.000 eingeschweißte verbotene Bücher an einem maßstabsgetreuen Nachbau des antiken Tempels durch ein Metallgerüst (leider blieb der Plastikmüll unhinterfragt).
Zensur: Diese beiden Projekte wie die Ausstellung im Münchner Literaturhaus selbst zeigen zugleich die eigenen Genzen auf, denn sie beschränken sich auf bereits gedruckte und nach ihrer Publikation verbotene Bücher. Zensurmaßnahmen setzen bereits viel früher ein, mit Denkverboten, Bespitzelung, Drohungen und Prozessen, ja selbst mit Haftstrafen und Mord (am 15. November, dem »Writers in Prison Day« macht der PEN auf die Schicksale verfolgter Schriftsteller:innen aufmerksam). Zwar verweisen die Begleittexe auf subversive Unterwanderung von Zensur und Verbot, doch das Thema wäre sicher eine eigene Ausstellung wert.
Literarturhaus München, Salvatorplatz 1, www.literaturhaus-muenchen.de
Verbotene Bücher, 28. Oktober 2023 bis 4. Februar 2024, täglich 11–18 Uhr
Kuratorinnen: Tanja Graf & Anna Seethaler