ANKE TE HEESEN: FRAUEN VOR MUSTERN
Frauenzimmer und Musterfrauen: Frauen werden in bürgerlichen Innenräumen vor Mustern inszeniert. Sie sitzen oder liegen dabei vor geblümten Tapeten und gestreiften Vorhängen oder auf mit bunten Stoffen bezogenen Sofas – ein bildlicher Ausdruck des Spannungsfelds zwischen Geborgenheit und Beengung. In ihrem Essay »Frauen vor Mustern« spürt Anke te Heesen diesem Bildmotiv nach, geht auf die Rolle von Ornament und Muster ein wie auf den Zusammenhang von Interieur und Weiblichkeit.
Ein Bildmotiv und seine Geschichte: Das »Interieur« als Inkarnation von Häuslichkeit und Domäne der Frau, die von ihr beherrscht wird und sie zugleich gefangen hält, ist ein zentraler Anknüpfungspunkt, mit dem die Wissenschaftshistorikerin ihre Überlegungen aufnimmt. In der Moderne, mit veränderten Konnotationen und Kontexten, steht das Bildmotiv »für eine ständige Diskussion um die Möglichkeiten und Rechte von Frauen«. Bei der »ersten Hochphase des Motivs im bürgerlichen Zeitalter« und Bildern von Cézanne, Van Gogh, Gauguin, Matisse, Vuillard, Klimt und Valadon verweilt Te Heesen nicht lange, bei aller Unterschiedlichkeit eine die Gemälde, dass die dekorativ-ornamentale Umgebung die porträtierten Frauen einbinde »in einen die Geschlechterrollen zementierenden und wertenden Kontext«. Oft bleibe unklar, ob sich die Frauen den Raum aneignen oder selbst zum Interieur werden.
Ornament und Muster: Ein kurzer Exkurs ist Männern vor Mustern gewidmet, dann folgen aufschlussreiche Anmerkungen zum Ornament in der Kunstgeschichte und zur Umkodierung des Begriffs Muster im Laufe des 20. Jahrhunderts. Mit künstlerischen konzeptuellen Strömungen in den USA und der dortigen Frauenbewegung habe in den 1970er Jahren die Aufwertung von Mustern begonnen, auch weibliche Handarbeit und Textil wurden zu »emanzipativen Markern der Künstlerinnen«. Der Innenraum wiederum werde »in der ihm zugewiesenen Bedeutung als weibliche Sphäre« infrage gestellt, emanzipatorisch umgedeutet, neu- oder zurückerobert, angeeignet und aufgearbeitet. Als Beispiele aus der Gegenwartskunst zieht Te Heesen etwa Fotografien von Bettina Rheims und Francesca Woodman heran, Gemälde von Sylvia Sleigh und textile Collagen von Malgorzata Mirga-Tas.
Die Autorin: Anke te Heesen lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin. Für Themen quer zum Üblichen hat sie einen kreativen Blick. Ein Beispiel: Unter ihrer Regie als Leiterin des Tübinger Universitätsmuseums fand 2008 mit »Auf/Zu« dort eine Ausstellung über Schränke in den Wissenschaften statt, von der Schauvitrine und Karteikästen über den Kartenschrank und das Münzkabinett bis zum Laborkühlschrank und Tresor. Denn Schränke verraten nicht nur viel über ihre Benutzer, über Ordnung und Chaos, Erinnern und Vergessen – etwas vermeintlich Banales wie ein Schrank macht auch Wissenschaftsgeschichte greifbar.
Anke Te Heesen, Frauen vor Mustern. Ein Bildmotiv und seine Geschichte, Wagenbach Verlag, Berlin 2025