WINZERINNEN IM MÉDOC: CHÂTEAU SAINT-CHRISTOLY
Männerweine / Frauenwein? Mit der Frage, ob ihre Weine anders seien, weil sie eine Frau ist, hat Cathy Heraud zu meiner Überraschung bei der Weinprobe überhaupt kein Problem. Anstatt die Frage als Zumutung abzuwehren mit dem Argument, Professionalität habe mit dem Geschlecht nichts zu tun – wie ich erwartet habe – erwidert sie mit Nachdruck: »Selbstverständlich!« Von Anfang an sei ihr Ziel gewesen, den Tanninbomben ihrer männlichen Kollegen feinere Aromen entgegenzusetzen. Wenn man mal den Jargon von selbst ernannten Weinexperten – meist sind es Männer – gelesen oder gehört hat, weiß man, was sie meint. Als wären Öchslegrade und Barriquenoten, Magnumflaschen, Mondpreise und prestigeträchtige Etiketten in der Weinwelt, wofür PS, Spoiler und Automobilmarken auf der Straße und in der Garage stehen.
Bordeaux-Weine innovativ: Grand Crus und Preisrekorde prägen das Image bei den Bordeaux-Weinen, doch im berühmtesten Weinbaugebiet der Welt betrifft das nur einen kleinen Prozentsatz der Weingüter. Daneben gibt es auch vielerorts bezahlbare Qualität! Und von der Weinelite im Bordelais unterscheidet die beiden Heraud-Schwestern nicht nur, dass keine drei- oder vierstelligen Preise aufgerufen werden, sondern auch, dass sie den repräsentativen Aufwand möglichst gering halten wollen. Der Fasskeller ist funktional, aufgeräumt und praktisch, kein Stararchitekt musste hier eine Weinphilosophie ins Bauliche umsetzen. Dafür liebt Kellermeisterin Cathy, die auch für die Arbeit im Weinberg zuständig ist, das Handwerkliche und Bodenständige des Winzerberufs viel zu sehr. Sie und ihre Schwester Sandrine, die Marketing und Vertrieb übernommen hat, treten auf den Weinmessen im Business-Outfit nicht minder souverän auf als in Arbeitskluft im eigenen Weingut, doch ihr Ehrgeiz bezieht sich zuallererst, wenn nicht sogar ausschließlich auf die Qualität des Weins. Ein einziger Rotwein pro Jahr wird auf den etwa 30 Hektar erzeugt, ein Cuvée aus Merlot, Cabernet Sauvignon und (ganz wenig) Petit Verdot, insgesamt rund 180.000 Flaschen pro Jahr. Erst seit kurzem gibt es wieder einen Rosé als Zweitwein.
Ungewöhnlich: Im Bordelais (noch mehr als in den anderen Weinbaugebieten Frankreichs) ist die Weinwelt noch eine Männersache. Die beiden Schwestern dagegen mussten keineswegs mit einer männlichen Familientradition brechen, denn schon Mutter und Großmutter haben das Weingut geführt. Anders machen die beiden Familienunternehmerinnen allerdings, seit ihnen die Eltern im Jahr 2010 das Weingut im gleichnamigen Örtchen Saint-Christoly übertrugen, dass sie sich für die Direktvermarktung entschieden haben, obwohl das allgemein als überaus riskant angesehen wurde. Die Ernte geht nicht mehr an die Genossenschaft, sondern wird nach eigenen Vorstellungen vinifiziert. Um 1850 hatte der Vorfahr Pierre Moreau einige Weinfelder erworben, mittlerweile wird der Betrieb in der siebten Generation von der Familie bewirtschaftet. Cathy Heraud kommt ins Reden und Gestikulieren, und ihre leuchtend blauen Augen blitzen, wenn sie die Familiengeschichte erläutert. An der Wand im Fasskeller hängt nicht nur der Stammbaum inklusive der Kinder von Sandrine und Cathy Heraud, die vielleicht irgendwann in die Fußstapfen ihrer Mütter treten, sondern auch an jedem Fass eine Postkarte, die der Großvater aus dem Ersten Weltkrieg schrieb – mindestens auf jeder zweiten erkundigt er sich nach dem Zustand der Reben. Im Weingut des Château de Saint-Christoly ist der Empfang nicht ohne Grund zugleich persönlich und überaus freundlich, aber auch selbstbewusst – die Weine sind einfach gut, hier agieren zwei Frauen, die etwas von ihrem Metier verstehen. Diverse Medaillen haben sie schon abgeräumt…
Château Saint-Christoly, 1bis, impasse de la Mairie, 33340 Saint-Christoly, Tel. 0033 5 56 41 82 01
http://www.chateausaintchristoly.com
https://www.youtube.com/watch?v=QLEge2d-jSc&feature=player_embedded