WEIN AUS DER AUVERGNE

Bei den Arvernern: Zu sagen, unter den Weinbaugebieten Frankreichs sei die Auvergne wenig bekannt, ist noch eine Untertreibung. Zwar führten bereits die Römer die Weinrebe bei den Arvernern ein, später liebten Könige und Päpste auvergnatischen Wein – doch heute sind Namen wie Boudes, Chanturgue oder Châteaugay in Deutschland selbst Weinkennern kaum ein Begriff.

»Viticulture héroique«: Als heldenhaft empfinden Franzosen heute den Versuch, im rauen Klima der Berge – in diesem Fall im Zentralmassiv, gemeint sind aber vor allem die Alpen und Pyrenäen – Wein anzubauen. CERVIM, das Centre de Recherches et d’Étude, de Protection, de Représentation et de Valorisation de la Viticulture de Montagne, widmet sich eigens den Bergweinen. Im Zeichen des Klimawandels stehen vielleicht auch der Auvergne wieder bessere Zeiten bevor? Jedenfalls gibt es selbst im Cantal ehrgeizige junge Winzer, die aufgegebene Terrassenpflanzungen rekultivieren.

Aristokraten und Bauern: Schon der Römer Plinius der Ältere notierte in der Antike auf seinen Reisen, dass in der Auvergne Wein gedieh. Die Weine aus Saint-Pourçain wurden einst von Frankreichs Königen und Avignons Päpsten hoch geschätzt und in Mengen konsumiert. Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhundert war die Auvergne mit ihren vulkanischen Böden eine der großen Weinbauregionen Frankreichs. Mit der Phylloxera-Krise 1892, als der Reblausbefall sich Jahr für Jahr weiter ausbreitete, kam der Einbruch: 1885 schätzte man die Gesamtproduktion in der Auvergne auf 1,6 Mio. Hektoliter, 25 Jahre später waren es nur noch 600 000. Der Niedergang setzte sich nach dem Ersten Weltkrieg fort: Gegenüber 45 000 Hektar vor 1890 und rund 16 000 Hektar Weinbaufläche um das Jahr 1920 zählt man heute gerade noch um 250 Hektar – die eigentlichen Côtes d’Auvergne bei Clermont-Ferrand mit den fünf Cru-Lagen Boudes, Chanturgue, Châteaugay, Corent und Madargue. Wie das im Bourbonnais gelegene Weinbaugebiet Saint-Pourçain (und auch die kleine Appellation Côtes du Forez) gehören alle geografisch zur Auvergne, weinbaurechtlich aber zur Region Loire (und dort zur Unterregion Centre-Loire). Neben den Loire-Renommiertropfen von Pouilly Fumé bis Sancerre und den Familienweingütern der Aristokratie spielen die Weinbauern der Auvergne naturgemäß nur eine untergeordnete Rolle. In Frankreich landen ihre Produkte oft in der Schublade »vin de gastronomie«, und das ist kein Lob. Der Begriff entspricht etwa dem deutschen Tafelwein, der untersten Güteklasse – aber wie das bei Wein so ist, das Pauschalurteil entstammt eher früheren Zeiten und wird nicht jedem Winzer gerecht. Man denke da nur an die »Süßliche Weinstraße» in der Pfalz, deren Renommee die dortigen Winzer gerade höchst erfolgreich aufpolieren!

Die Appellation Saint-Pourçain: Das rund 540 Hektar große Weinbaugebiet erstreckt sich als ein 5–7 Kilometer breiter Streifen entlang einer südöstlich ausgerichteten Hangkette von Moulins Richtung Süden bis nach Chantelle. Es umfasst 19 Gemeinden, in deren Mitte Saint-Pourçain-sur-Sioule liegt. Die von dort ausgeschilderte ›Route des Vins‹ verbindet kleinere kunsthistorische Ziele mit dem Besuch von Kellereien (caves) und romantischen Dörfern an den Ufern von Sioule, Allier und Bouble. Als bevorzugte Rebsorten für Weißwein wird Sacy (auch Tressallier genannt) angebaut, daneben Sauvignon, Chardonnay und Aligot, als rote Rebsorten vorwiegend Gamay und Pinot Noir. Die bekanntesten Tropfen dieser Appellation sind die trockenen, fruchtigen Weißweine mit leichter Apfelnote (Produktion etwa 4500 Hektoliter). Mengenmäßig wird allerdings mehr Rotwein (rund 14000 Hektoliter) produziert, außerdem Rosé (knapp 4000 Hektoliter).

Die Côtes d’Auvergne: Die heutige, als AOC/AOP (Appellation d’Origine Contrôlée/Protégée) geschützte Herkunftsbezeichnung »Côtes d’Auvergne« umfasst nur noch einen kläglichen Rest des einst viel größeren Anbaugebiets; etwas mehr als 50 Kommunen zwischen Riom und Issoire dürfen das Label Côtes d’Auvergne nutzen. In den Böden vereinen sich Kalk-Mergel-Erden mit vulkanischen Erosionsprodukten, was dem Wein seinen typischen Charakter gibt. Als Rebsorten werden Chardonnay für Weißwein, Gamay und Pinot Noir für Rotweine und Rosés bevorzugt. Im Département Puy-de-Dôme gibt es neben den Kooperativen etwa drei Dutzend unabhängige Winzer, die etwas mehr als die Hälfte der insgesamt 3500 Hektoliter jährlich erzeugen (nur AOP Côtes d’Auvergne mit geografischer Bezeichnung, dazu kommen einfache Côtes d’Auvergne und Landweine wie IGP Puy-de-Dôme – insgesamt wohl knapp 11000 Hektoliter).

Madargue: Nördlich von Riom liegt das Gebiet Madargue, mit nur 12 Hektar eine sehr kleine Lage. Im Weindorf Saint-Bonnet-près-Riom verkostet beispielsweise die Cave Déat (8bis, rue Michel de l’Hospital, Tel. 04 73 63 37 65) auf Anfrage ihre Produkte. Nur zwei Weingüter produzieren hier gerade mal 70 Hektoliter jährlich.

Châteaugay und Chanturgue: Nördlich von Clermont gehen die Lagen Châteaugay (64 Hektar, 1600 Hektoliter) und Chanturgue (6 Hektar) ineinander über. Châteaugay heißt wie die Burg, die mit einem wehrhaften Donjon das gleichnamige Örtchen beherrscht. Verkostungen sind bei der Domaine Rougeyron (27, rue de la Crouzette, 63119 Châteaugay, Tel. 04 73 87 24 45, Mo–Sa 9–12 und 15–19 Uhr nach tel. Anmeldung) oder bei der Domaine de la Croix Arpin (Chemin Cleaux, Pompignat, 63119 Châteaugay, Tel. 04 73 25 00 08, www.pierregoigoux.fr) möglich. Für die in alle Kontinente verstreuten Auvergnaten – als arme Bergregion, in der auch die Landwirtschaft nur mühsam die Existenz sicherte, war das Zentralmassiv eine klassische Auswandererregion – war der Chanturgue mit seinem leichten Veilchenduft der beste Wein der Welt. Mit nur 100 Hektolitern pro Jahr ist der kirschrote, leichte und fruchtige Tropfen aus Gamay-Trauben, der als gut lagerfähig gilt, heute eine echte Rarität. Verkosten kann man ihn in Blanzat beim Viticulteur Bonjean (12, rue de la Tour, 63112 Blanzat, Tel. 04 73 87 90 50, tgl. 11.30–18.30 nach tel. Anmeldung) oder in Aubière südlich von Clermont bei der Cave Bourcheix (4, rue Saint-Marc, 63170 Aubière, Tel. 04 73 26 04 52, Sa 8.30–12.30 und 15–18.30 Uhr), die seit 1654 besteht und knapp 2 Hektar im Chanturgue-Gebiet bewirtschaftet.

Corent: Die Lage (32 Hektar, 680 Hektoliter Jahresproduktion) befindet sich im Alliertal südlich von Clermont am Osthang des Puy de Corent, der jüngst durch die Ausgrabung eines großen Gallier-Oppidums bekannt wurde. Hier wird fast ausschließlich Rosé produziert. Das hübsche Winzerdorf Corent lohnt einen Besuch, eine dégustation ist etwa beim Viticulteur Jean-Pierre Pradier (Domaine des Trouillères, Route de Tobize, Tel. 06 72 40 75 26, www.cave-jppradier.com, Sa 8.30–12 Uhr) in Les Martres-de-Veyre möglich, der seine knapp 6 Hektar Rebflächen seit 2009 biologisch bewirtschaftet.

Boudes: Überregionale Erfolge konnten vor allem die Winzer von Boudes verzeichnen, deren Lage (45 Hektar, 1100 Hektoliter Jahresproduktion) etwas südlich von Issoire das trockenste Klima aufweist. Ein sehr modernes, mehrfach ausgezeichnetes Weingut ist die Domaine Annie Sauvat (Route de Dauzat, Boudes, Tel. 04 73 96 41 42, www.sauvat-vins.com, Mo–Sa 9–12 und 14–18 Uhr). Versuchen Sie die Rotweine der Winzerin, beispielsweise ›Nymphéa‹ aus Pinot Noir mit fruchtigen Kirsch- und Pflaumennoten und ›Les Demoiselles‹, ein intensiver Tropfen aus Gamay-Trauben mit leichter Gewürz- und Pfeffernote.

Ist das alles denn belastbar? Dieser Beitrag ist die von mir erweiterte und komplett aktualisierte Fassung eines kürzeren Texts von Hans E. Latzke aus dem DuMont Reisetaschenbuch Auvergne, das wir vor Urzeiten gemeinsam geschrieben haben und das er seit Jahren in eigener Regie fortführt und regelmäßig mit neuen Tipps und Adressen aktualisiert. Ich bitte um Nachsicht, wenn bei meinen Hektar- und Hektoliter-Angaben etwas nicht ganz präzise ist – in Frankreich werden Zahlen nach wie vor oft departmentweise erhoben, das macht die Recherche schwierig und unzuverlässig, da manche Phänomene (wie Weinbaugebiete) sich nicht an Verwaltungsgrenzen halten. Jedenfalls liefern Statistik-Institute, Winzer- und Tourismusverbände, Landwirtschaftskammern (und das französische Wikipedia) höchst unterschiedliche Zahlen zum Weinbau. Davon aber abgesehen: Wer in die Auvergne reisen will, kann sich im Reisetaschenbuch von Hans E. Latzke bestens informieren und vor Ort orientieren. Auf knapp 300 Seiten stellt er alle sehenswerten Orte und Ausflugsziele in der Auvergne vor, Stadtspaziergänge, ungewöhnliche Entdeckungstouren und ausgewählte Wanderungen erschließen die Highlights und Besonderheiten der Region. Auch das Foto zum Beitrag stammt von Hans E. Latzke.

Reisetaschenbuch Auvergne, Tarn & Cevennen, DuMont Reiseverlag 2016, ISBN 978-3-7701-7354-9, 17,99 €

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