RANGLISTE DER PRESSEFREIHEIT: DEUTSCHLAND UND FRANKREICH
GASTBEITRAG VON DR. CHRISTOPH FISCHER Fünf vor Zwölf ist längst vorbei: Die Pressefreiheit ist akut bedroht – auch in Deutschland. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat das Land am Tag der Pressefreiheit am 3. Mai erneut heruntergestuft. Deutschland rangiert nun drei Plätze tiefer auf Rang 16 – hinter Litauen, Jamaika und den Seychellen. »Für diese Entwicklung sind drei Gründe zentral: eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie Gewalt bei Demonstrationen.« Die Zahl der gewaltsamen Angriffe war mit 80 dokumentierten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen 2013. Bereits im Vorjahr war mit 65 Fällen ein Negativrekord erreicht worden. Frank Überall aus Köln, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), sagt: »Autokraten und Diktaturen sind auf dem Vormarsch, und sie haben auch in Deutschland willige Helferinnen und Helfer. Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten sind beschämend für ein demokratisches Staatswesen. Medienschaffende müssen ihren Job machen können, das Grundrecht der Pressefreiheit darf man nicht mit Füßen treten, der Grundkonsens der Menschenrechte darf nicht verhandelbar werden. Mit Gewalt lässt sich keine Politik machen.«
Reporter ohne Grenzen: »Regierungen, Interessengruppen und Einzelpersonen wollen Medienschaffende mit Gewalt daran hindern, unabhängig zu berichten. Dieses Phänomen beobachten wir in allen Teilen der Welt, ob in Russland, Myanmar oder Afghanistan – oder selbst in Deutschland, wo die Aggressivität gegenüber Journalistinnen und Journalisten auf ein Rekordhoch gestiegen ist«, sagt Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen (RSF). »Die meisten der Angriffe ereigneten sich bei Protesten des Querdenken-Spektrums gegen Coronamaßnahmen, an denen regelmäßig gewaltbereite Neonazis und extrem rechte Gruppen teilnahmen«, Medienschaffende seien bespuckt, getreten und bewusstlos geschlagen worden. 2021 war Deutschland erstmals aus der Spitzengruppe herausgefallen. Seitdem gilt die Lage der Pressefreiheit in Deutschland nicht mehr als »gut«, sondern nur noch als »zufriedenstellend«. Wie auch in Frankreich, das im Gegensatz zu Deutschland aber in der Rangliste von Platz 34 auf 26 aufgestiegen ist.
Fox Newsisation des médias: Ein Wortungetüm hat Christophe Deloire, Secrétaire général der RSF, bemüht, um zu beklagen, dass die Pressefreiheit auch in demokratischen Ländern mehr denn je gefährdet sei. Und ein neuer Negativrekord zu verzeichnen ist: In 28 Ländern, mehr als je zuvor, ist die Situation »sehr ernst« und nur noch in acht »gut« (2021 waren es noch zwölf). Nicht nur die Zensur der Medien in autoritären Regimes verschärfe die Situation, kommentieren Reporters sans frontières das »Classement mondial de la liberté de la presse 2022«. In den demokratischen Ländern gefährde die Zunahme an Meinungsmedien tolerante öffentliche Debatten und Streitkultur, und die Desinformation, die über die sozialen Medien an Reichweite gewinne, spalte die Gesellschaft – auch in Frankreich (»le développement de médias d’opinion sur le modèle de Fox News et la banalisation des circuits de désinformation, amplifiée par le fonctionnement des réseaux sociaux«). Dass Frankreich sich um acht Plätze verbesserte und vom 34. auf den 26. Rang vorrückte, verdankt sich wohl vor allem einer Präzisierung des Innenministeriums zum »Schéma national du maintien de l’ordre« (SNMO) Ende 2021. Im Text heißt es zur Rolle von Journalisten bei Demonstrationen, ihre Sicherheit sei zu garantieren (Adressat ist vor allem die Polizei), denn »il est impératif de protéger le droit d’informer«. Reporters sans frontières konstatierte zudem einen Rückgang verbaler Attacken von Frankreichs Politikern gegenüber Journalisten.
Krisen, Kriege und Gewalt: Weltweit habe sich die Situation der Pressefreiheit seit Beginn des vergangenen Jahres durch Krisen und Kriege weiter verschlechtert, stellt Reporter ohne Grenzen fest. In Russland gilt mit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine die Pressefreiheit als »de facto abgeschafft«, in der aktuellen Rangliste liegt Russland auf dem 155. Platz. Zu den Schlusslichtern unter den 180 Ländern gehört China auf Platz 175, »unter anderem aufgrund nahezu allumfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland«, das Schlusslicht bildet Nordkorea. Führend im pressefreiheitlichen Spektrum sind weiter die skandinavischen Länder Norwegen, Dänemark und Schweden.
https://rsf.org/fr/classement-mondial-de-la-liberté-de-la-presse-2022-la-nouvelle-ère-de-la-polarisation-0
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2022