LITERATURMUSEUM WIEN: STEFAN ZWEIG WELTAUTOR

EIN GASTBEITRAG VON CHRISTOPH FISCHER: Vielleicht war er ein Getriebener. Am Ende seines Lebens war er depressiv. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich war für ihn die Apokalypse der Weltgesellschaft, Zweig war ein Vordenker der Union Europas. Stefan Zweig, 1881 in Wien geboren, wandelte sich vom glühenden Patrioten zum überzeugten Pazifisten. Dass so einer auch umstritten sein muss, versteht sich fast von selbst. Hugo von Hofmannsthal, einst sein literarisches Vorbild, beschrieb ihn als »Erwerbs-Zweig«, weil der Kollege nicht nur Schriftsteller war, sondern auch ein erfolgreicher Vermarkter seines Schaffens.

Thomas Mann hat das anders gesehen. »Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde.« Die Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek in der Wiener Johannesgasse (verlängert bis zum 4. September 2022) trägt den Titel »Weltautor«. Und sie trägt ihn eindeutig zu Recht. Zweig war ein Weltreisender, seine literarische Strahlkraft ist ungebrochen, seine »Sternstunden der Menschheit« sind auch 2022 noch lesenswert, »Die Welt von Gestern« ist ein verzweifeltes Manifest. Vor seinem Freitod im brasilianischen Petrópolis nahe Rio de Janeiro gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte Altmann im Februar 1942 resignierte er, der Vordenker Europas glaubte nicht mehr an die Zukunft.

Kuratiert von Bernhard Fetz, dem Direktor des Literaturmuseums, und Arturo Larcati schafft die Ausstellung nochmals einen neuen motivierenden Zugang, liebevoll präsentieren die Ausstellungsmacher Notizen, Buchausgaben, Fotografien und Filmausschnitte des Bestsellerautors, dessen Auflagen weltweit in die Hunderttausende gingen, Zweig wurde in über 50 Sprachen übersetzt. Wie im Zentrum der Präsentation im dritten Stock des Grillparzer-Hauses wirkt ein überdimensionales Kontorheft, in dem Stefan Zweig sorgfältig eintrug, welche seiner Werke wann, wo, in welcher Sprache und vor allem zu welchem Honorar erschien. »Er war ein sehr guter Manager seiner selbst«, sagt Larcati. In der alten UdSSR und in China gab es einen Hype um ihn, würde man heute sagen.

Erst gegen Ende, in den letzten Jahren war Zweigs Leben nicht mehr von Abenteuer- und Entdeckungslust geprägt, sondern von Vertreibung und Flucht vor den Nationalsozialisten. 1934 emigrierte er nach Südengland, nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weiter in die USA und endlich nach Brasilien. Noch 1940 lässt Stefan Zweig bei einem Londoner Fotografen Passbilder anfertigen. Es sind achtundvierzig kleinformatige Fotos. Mal lächelt er verbindlich, mal blickt er erwartungsvoll nach oben, mal zeigt er sein nachdenkliches Profil, selbstmordgefährdet wirkt er auf keinem der Bilder.

»Es ist vorbei«, schreibt der Emigrant aber in sein Tagebuch, nachdem die deutsche Wehrmacht Frankreich überrollt hat: »Europa erledigt, unsere Welt zerstört.« Zweig erlebt sich gedemütigt, verängstigt, heimatlos, verzweifelt. Im Zeitalter der Diktatoren war Zweig eine tragische Figur, hat einer geschrieben. Das trifft es ziemlich gut, Zweig glaubte an die Macht der Sprache zwar auch dann noch, als sich Europa längst in der Macht der Massen befand. Zuletzt betont Zweig aber immer wieder, dass mit Worten nichts mehr zu erreichen sei. Schon im Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatte er das Ende der Welt gesehen. Bei einem Blick auf die im Februar 1942 ausgegertigten und in der Ausstellung in Wien präsentierten Sterbeurkunden stellt sich aktuell erneut Trauer ein. Was für ein Verlust.

Stefan Zweig Die Welt von Gestern

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