JENS BECKERT: VERKAUFTE ZUKUNFT
Wissen ohne Wandel: Das Buch von Jens Beckert lese ich, weil ich mir davon Aufschluss zu einer Frage erhoffe, die der Soziologe gleich im Untertitel formuliert: »Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht«. Einiges liegt auf der Hand – Politiker scheuen unpopuläre Maßnahmen, weil sie wiedergewählt werden wollen, und mit den Kampfparolen »Verzicht« und »Verbotspartei« wird den Menschen von konservativen und rechten Parteien suggeriert, sie müssten auf Wohlstand verzichten und sollten deshalb die Grünen nicht wählen. Der Autor, tätig am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, liefert eine sozialwissenschaftliche Analyse, warum unsere Gesellschaft auf die Bedrohung so zögerlich reagiert – in Kapiteln über »Wissen ohne Wandel, Planetare Grenzen, Wohlstand weltweit, Konsum ohne Grenze« und mehr. Bekannt ist seit Jahrzehnten, was zu tun wäre. Es gelingt trotzdem nicht, den Klimawandel zu stoppen, dem Wissen folgen keine oder nur unzureichende Taten. Denn das bittere Fazit: »Wir verkaufen unsere Zukunft für die nächsten Quartalszahlen, das kommende Wahlergebnis und das heutige Vergnügen«.
Energiewende: Dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, ist nicht nur eine technische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung – »Fragen sozialer Ungleichheit werden sich in weit verschärfterer Form als heute stellen«. Hungersnöte, Wasserknappheit, Naturkatastrophen und Umweltschäden werden zu neuen Verteilungskämpfen führen und ein friedliches Zusammenleben schwieriger machen. Interessant ist daher insbesondere das Kapitel über »Grünes Wachstum«: Beckert bestreitet nicht, dass die Dekarbonisierung des Energieverbrauchs enorm wichtig ist, zeigt aber, dass in der auf ständiges Wachstum hin ausgelegten kapitalistischen Moderne auch das das ökologische Problem nicht löst. Die Mär, es wäre schon eine Lösung, würden nur alle schnell genug E-Autos kaufen, ist das beste Beispiel für marktgläubige Technologieoffenheit. Eine weitere gängige Strategie, sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist derzeit, verändertes Verhalten und Klimaziele für die Zukunft anzukündigen. Ernst zu nehmen seien solche Versprechen nur, so Beckert, »wenn sie sofortige Maßnahmen beinhalten, feingliedrig Jahr für Jahr« überprüfbar.
Konsum ohne Grenze: Beckert stimmt jedoch nicht in die moralisierende Kritik von Konsumpraktiken und Lebensstilen ein, sondern zeigt auf, dass die Externalisierung von Umweltschäden durch Staat, Unternehmen und Bürger den Klimawandel billigend in Kauf nimmt. Dennoch spielt der private Konsum eine wichtige Rolle, schreibt Beckert: »In Deutschland macht er etwas über die Hälfte der Wirtschaftsleistung aus, in den USA über zwei Drittel.« In zwei Kapiteln geht es daher um mögliche Veränderung – durch Konsumverzicht und durch klimaneutrale Umgestaltung von Produktion und Konsum. Seine Ausführungen dazu, warum eine politisch verordnete Konsumbeschränkung nicht durchsetzbar ist, widerlegen plausibel den Vorschlag Ulrike Herrmanns in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus«, die Wirtschaft durch Rationierung schrumpfen zu lassen.
Knappe Ressourcen und Kollateralschäden: Das vorletzte Kapitel ist das düsterste, denn der Klimawandel ist nur ein Aspekt der Naturübernutzung, die planetaren Grenzen sind ein zweiter. Der Erdüberlastungstag liegt weltweit im August, in Deutschland sogar bereits Anfang Mai. Der Verbrauch natürlicher Ressourcen liegt damit weit über dem, was den Fortbestand unserer Zivilisation sichern könnte. Elektrofahrzeuge und Solarmodule vergrößern den materiellen Fußabdruck noch und sind der Schrott und Sondermüll von morgen. Der Abbau von Erzen und die Herstellung von Batterien für »saubere Energie« sind schmutzige Angelegenheiten. »So wird ein Teilaspekt der globalen Nachhaltigskeitskrise, die Erderwärmung, auf Kosten eines anderen Teils dieser Krise, der Umweltverschmutzung, „gelöst“.« Politisch setze sich bei der Energiewende die neokoloniale Ausbeutung anderer Länder fort, ökologisch verursache sie weitere Schäden.
Preiswürdiges Sachbuch: Auf die acht Titel umfassende Auswahlliste für den Sachbuchpreis 2024 hat es Beckert mit »Verkaufte Zukunft« geschafft – zu Recht. Ein unbedingt lesenswertes Buch mit einer kompakten Fülle an Aspekten, eigentlich in jedem Satz eine neue Erkenntnis, die der Autor so gut bündelt, dass es langer Überleitungen nicht bedarf, und so lesbar formuliert, dass der dichte Informationsgehalt seine Leserinnen und Leser nicht überfordert. Und trotz seiner sachkundigen, sozioökonomisch begründeten Skepsis entlässt uns Beckert nicht mit einer Dystopie in die Resignation – im letzten Kapitel zur Frage »Wie weiter?« gibt es einen Ausblick auf Machbares (die Diskussion um die Schaffung einklagbarer Rechte für die Natur kommt allerdings nur in einer Fußnote vor).
Jens Beckert, Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht, Suhrkamp, Berlin 2024