FABRIQUÉ EN CORSE: DER APERITIFWEIN CAP CORSE
Boutique Mattei: Eines der ältesten noch erhaltenen Geschäfte Korsikas findet sich direkt an der großen Place Saint-Nicolas in Bastia. Ein Besuch der Feinkost-, Wein- und Spirituosenhandlung Mattei lohnt sich allein schon aufgrund der historischen, leuchtend rot lackierten Ladeneinrichtung in den nahezu unveränderten Verkaufsräumen. Und natürlich zum Erwerb korsischer Spezialitäten von Honig bis zu Gebäck!
Urzitronen: Der 1849 geborene Louis-Napoléon Mattei stammte vom Cap Corse und begann zunächst in Bastia mit einem Weinhandel. 1872 gründete er eine Destillerie, die bis heute einige inseltypische Spirituosen produziert: Kastanienlikör und Myrthenlikör beispielsweise und Cédratine, einen Likör aus Zedratzitronen. Diese Sorte mit dicker, ledriger Schale und bis zu 4 Kilogramm schweren Früchten stammt ursprünglich aus Asien und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts, von Seefahrern mitgebracht, auf Korsika heimisch. Sie sind damit wohl die ersten Zitrusfrüchte, die in Europa angebaut wurden (jedenfalls abgesehen von den höfischen Pomeranzengärten der Renaissance- und Barockzeit). Das Unternehmen Mattei stellt daraus einen Likör her, der bis zu zehn Jahre in Holzfässern reift, Sirup und Fruchtkonfekt – übrigens werden auch für das in der Weihnachtsbäckerei unentbehrliche Zitronat Zedratzitronen verarbeitet.
Mistelle: Ende des 19. Jahrhunderts erfand Louis Napoleon Mattei den herben, nach seiner Heimatregion benannten Apéritif Cap Corse: Im Jahr 1884 führte er sein neues Erzeugnis ein, den »vin du cap corse au quinquina«. Das appetitanregende Getränk auf Weinbasis (Muscat vom Cap Corse) beruht auf einer Rezeptur mit mehr als einem Dutzend aromatischen Macchia-Kräutern, Orangenschalen und Chinarinde (Quinquina). Eigentlich handelt es sich dabei um einen »Mistelle« oder »vin mute«, also einen Traubenmost, dessen Gärung durch Zusatz von Alkohol gestoppt wird. Neben den Botanicals gibt das Chinin, Extrakt des Chinarindenbaums, dem Apéritif seine elegante Bitternote.
Appetitanreger: Der bekannteste und in Frankreich beliebteste »Magenöffner« vor dem Essen ist der Pastis, für dessen Grundrezept Paul Ricard Anfang der 1930er-Jahre verantwortlich zeichnete. Apéritifs können auf Basis von Alkohol und Anis (Pastis 51, Pernod, Ricard u.a.), Enzian (Suze) oder Bitterpflanzen (Amer Picon) hergestellt werden. Die andere große Gruppe sind Apéritifs auf Weinbasis. Weil Chinarinde im 19. Jahrhundert als Allheil- und Stärkungsmittel galt, sind darunter auch einige sogenannte »Quinquinas«, also mit natürlicher Chinarinde versetzte Spirituosen, etwa Lillet, Dubonnet und Byrrh, die alle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Wegen des darin enthaltenen Chinins wurde das extrem bitter schmeckende »Wundermittel« damals den Soldaten als Prophylaxe gegen Malaria und fiebersenkende Arznei verabreicht. Die leicht bitteren alkoholischen Getränke galten als überaus bekömmlich und sollten eigentlich in Apotheken verkauft werden. Schon bald setzten sich die mit Kräutern aromatisierten Weine als Apéritifs durch – auch außerhalb Frankreichs: Alte Fotos aus der Firmengeschichte von L.N.Mattei zeigen, wie der Cap Corse kistenweise in Überseefrachter verladen wird. Doch Prohibition in den USA und Zweiter Weltkrieg in Europa schränkten Popularität und Produktion ein und ließen Lillet, Byrrh, Dubonnet und Cap Corse zu Produkten werden, die außerhalb Frankreichs kaum Beachtung fanden.
Bar-Stars: Das hat sich in den letzten Jahren gründlich geändert, heute stehen einige dieser französischen, fast in Vergessenheit geratenen Aperitifweine wieder in den Regalen angesagter Bars. Im Fahrwasser von Aperol löste gerade erst der Lillet Sprizz, Hugo und Co. als spritziger Trendsommerdrink ab. Vielleicht gehört bald auch der Cap Corse wieder zu den Stars – zumindest Bartender schätzen die Aperitifweine wieder als entscheidende Zutat, sei es in Cocktails, als Longdrink mit Soda oder Tonic, oder aber als Solist.
Mattei, 15 boulevard du Général de Gaulle, 20200 Bastia, Mo-Sa 9–12 und 14–19 Uhr