EULA BISS: WAS WIR HABEN
Der Wert der Dinge: Mit ihrem Sachbuch »Was wir haben« (im Original: Having and Being Had) hat die US-Amerikanerin Eula Biss essayistische Notizen über »Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge« veröffentlicht, ausgehend von Alltagsbeobachtungen, Gesprächen und Austausch mit Kollegen, Künstlern und Wissenschaftlern und eigenen Lektüren zu wirtschaftsphilosophischen Fragen. Die Autorin hat sich gerade von den Einnahmen eines vorhergehenden Buchs ein Haus in wohlhabender Nachbarschaft am Lake Michigan gekauft, dessen Hypothek noch abgezahlt werden muss, zugleich liegt die Zeit noch nicht weit zurück, dass ihre prekären Lebensumstände nur Möbel aus Pappkartons oder vom Straßenrand zuließen.
Geld, Konsum, Kapitalismus: Ich habe jetzt kurz nacheinander mehrere Bücher gelesen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Kapitalismus beschäftigen, darunter das schnell auf die Bestsellerlisten katapultierte Buch von Ulrike Herrmann über »Das Ende des Kapitalismus«, in dem es um den Konflikt von Wachstum und Klimaschutz geht, und »Wie viel. Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht« von Mareice Kaiser sowie »Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän« von Grégory Salle. Bei Eula Biss ist der Untertitel allerdings irreführend, denn bestimmte Fragen stellt sie gar nicht. Die Autorin fragt nach dem Wert der Dinge und danach, was das Haben mit dem Sein macht, ja. Und sie thematisiert ihr Unbehagen, wo Moral und Warenkonsum in Konflikt geraten, fragt, ob Geld korrumpiert, und stellt sich den Widersprüchen ihres Alltags. Konsumkritik wäre der richtige Begriff, nur zieht das womöglich im Untertitel eines Buchs aktuell viel weniger als »Kapitalismus«. Privater Konsum ist aber nur ein Aspekt des Kapitalismus: So belesen die Autorin ist und so reflektiert sie sich gibt, ihre persönliche Erkundung hat hier eine große Leerstelle.
Wachstum, Wohlstand, Weltzerstörung: Kapitalismus verursacht soziale Ungleichheit und zerstört durch die Ausbeutung fossiler Energie die Umwelt, er beruht darauf, dass sich Eliten kollektive Ressourcen wie Boden und Wasser aneignen und immer reicher werden, wie darauf, dass Wachstum als absoluter unhinterfragbarer Wert gilt und Kosten für Umweltzerstörung vergesellschaftet werden. Während durch Arbeit erzieltes Einkommen hoch besteuert wird, bleibt aus Grund-, Immobilien- und Firmenbesitz sowie Erbschaften generiertes Vermögen nahezu unbelastet. Was fehlt, sind zudem konsequentes Vorgehen und Gesetze gegen Schattenfinanzwirtschaft und Geldwäsche von Oligarchen und Mafia, Menschenhändlern und Drogenbanden, gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung, Briefkastenfirmen und Erbschaften ohne Vermögenssteuer. Demokratien sollten ein genuines Interesse daran haben, kriminell erwirtschaftete Vermögen aufzuspüren, zu beschlagnahmen und sinnvoll für die Allgemeinheit einzusetzen, anstatt noch Verstecke anzudienen. All das spielt im Buch kaum eine Rolle.
Kuratierter Content: Leider hat mich dieser blinde Fleck des Buchs zunächst so verärgert, dass ich eine Zeit brauchte, um einfach unvoreingenommen zu lesen. Denn mal sachlich, mal humorvoll thematisiert Eula Biss vieles, was zum Nachdenken anregt, über Bedienstete und Lohnsklaven, über Arbeit und Spiel, Schreiben und Kunst, Prekariat und Mittelschicht, gute und böse Reiche… Das Buch besteht aus Alltagsprotokollen, Miniaturgeschichten und längeren kulturkritischen Überlegungen, doch gerade bei diesen Passagen setzt die Autorin weitgehend auf Zitate und Paraphrasen, sodass mich ebenso wie die Rezensentin der New York Times öfter mal der Wunsch beschlich, lieber gleich die zitierten Referenzen lesen zu wollen. Lauren Oyler nennt das in ihrer Review »curated nonfiction« und unterstellte der Autorin etwas maliziös, sie habe, um Zeit zu gewinnen, sich bei der anderer Schriftsteller bedient. (Over and over again, Biss asserts how much she values time. Some contemporary scholars are cited so often that it seems part of Biss’s plan to buy time had to involve stealing it from other writers).
Eula Biss: Was wir haben. Über Besitz, Kapitalismus und den Wert der Dinge, aus dem Englischen von Stephanie Singh, Hanser Verlag, München 2021