AUSSTELLUNG IN DÜSSELDORF: ETEL ADNAN

Poesie der Farben: Eine Ausstellung, aus der wohl niemand unberührt wieder hinausgeht! Noch bis zum 16. Juli 2023 ist in Düsseldorf im K20 eine Retrospektive mit Werken der in Beirut geborenen Malerin, Dichterin und Philosophin Etel Adnan (1925–2021) zu sehen – eine Gelegenheit, das breite Spektrum und die Relevanz ihres Werks zu entdecken. Als abstrakte Malerin wurde sie spät entdeckt: Adnan war bereits 87 Jahre alt, als sie an der Kasseler Documenta im Jahr 2012 teilnahm und ihr Werk international Anerkennung erhielt. Die polyglotte Künstlerin verbrachte ihr Leben zwischen dem Libanon, Frankreich und Kalifornien, und zumindest meinem Eindruck nach ist sie in Frankreich bekannter als in Deutschland – zuletzt gab es Ausstellungen in London, Paris, Bern, Luxemburg, New York, San Francisco, Metz, Amsterdam. Nun richtet die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit dem Lenbachhaus in München, die erste umfassende Einzelausstellung zum faszinierenden Werk von Etel Adnan in Deutschland aus.

Abstraktion und Natur: Die kleinformatigen Ölgemälde mit ihrer leuchtenden Farbintensität bleiben völlig abstrakt, sind komponiert aus geometrischen Grundformen wie Kreis oder Viereck und klar konturierten Flächen und kompakten Farbstreifen. Doch wenn man direkt vor einem der Gemälde steht, kann man darin eintauchen in hügelige Landschaften, Inselwelten, Sonnenuntergänge oder den Meereshorizont. Adnan kreiert mit ihrer abstrakten Malerei farbenfrohe Landschaften, erschafft Licht und Wärme, ihre Bilder sind eine Feier der Schönheit und der Natur. Dicke Farbschichten trug sie meist direkt aus der Tube mit einem Messer oder Spachtel auf, ihre Leinwände strahlen Energie aus. »Im Malen drückt sich meine glückliche Seite aus, jene, die mit dem Universum eins ist.«, zitiert Simone Fattal in einem Aufsatz im begleitenden Katalog ihre Lebensgefährtin.

Weltbürgerin mit bewegter Biografie: Etel Adnan war ihr ganzes Leben lang als Nomadin zwischen den Kulturen unterwegs: Geboren in Beirut als Tochter einer griechischen Mutter aus Smyrna (heute Izmir) und syrischen Vaters aus Damaskus, wächst sie mehrsprachig auf – der Libanon war bis 1943 französisches Protektorat. Ihr in Beirut begonnenes Philosophiestudium setzte sie in Paris, ab 1955 in Kalifornien fort. Die Kriege und Krisen der Zeit prägen ihre Texte und ihr politisches Selbstverständnis. Unter dem Eindruck des Algerienkriegs lehnt sie es zeitweilig ab, auf Französisch zu schreiben, der Sprache der Kolonialmacht. Auf »Arabisch zu malen« ist ein Ausweg aus dem Dilemma – und ein Wendepunkt im Repertoire von Adnans Ausdrucksformen. Die abstrakte Malerei wird zum Äquivalent des poetischen Ausdrucks. Der große Durchbruch für die Malerin kam zwar, wie für viele Künstlerinnen ihrer Generation, erst spät im hohen Alter, doch als sie an der Kasseler Documenta 2012 teilnahm, war Adnan längst seit vielen Jahren eine anerkannte Schriftstellerin und Essayistin, geschätzte Dichterin und engagierte Journalistin. »I write, what I see, I paint, what I am«, sagte Etel Adnan über die beiden sich wechselseitig befruchtenden Tätigkeiten. In ihrem künstlerischen und literarischen Werk verbindet Adnan Text und Bild, schlägt Brücken zwischen arabischer und westlicher Welt.

Malen, Schreiben, Falten, Weben: Am deutlichsten wird die Begegnung zwischen Schreiben und Malen in den Leporellos, beispielsweise in »War Poems« und »Mezza voce« von 1988. Die ursprünglich aus Japan stammenden, ausklappbaren Faltbücher werden zum unverwechselbaren Medium von Etel Adnan – mit Tusche und Aquarellfarben entwickelt sie eine enge Verbindung zwischen Poesie und Malerei, macht Schrift zu Kunst. Das Format der langen Papiere der Leporellos verglich Adnan mit horizontalen Schriftrollen und die Arbeit daran nannte sie »Schreiben auf einem Fluss«. »Das Leben ist ein Gewebe« heißt einer der Prosatexte von Etel Adnan. Auf Reisen in Nordafrika und im Nahen Osten begann sie sich für die Teppichweberei zu interessieren, und entwarf bald Motive für Tapisserien, sodass auch einige großformatige Wandteppiche in der Ausstellung zu sehen sind. Da die Textilkunst, mit der sich hauptsächlich Frauen beschäftigen, viele Jahrzehnte lang nur einen geringen Stellenwert hatte und als rein dekorativ von der Kunstgeschichte gern übersehen wurde, lassen sich hier weitere Entdeckungen machen.

 

Der Katalog zur Ausstellung, hg. von Sébastien Delot/Susanne Gaensheimer/Matthias Mühling, erschien im Hirmer Verlag, das Cover zeigt einen Ausschnitt aus »Eclat de lumière« (Wandteppich aus Wolle, 1960er-Jahre). Als Ausstellungsplakat wählte die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit »Persian« (1963/64) ein Gemälde aus der eigenen Sammlung.

Katalog Signatur Etel Adnan

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