AUSFLUGSTIPP IM ELSASS: STREET-ART IN MULHOUSE
Wandmalerei: »Le M.U.R« heißen die offiziellen Street-Art-Wände in Frankreichs Städten meist, und wie Paris oder Bordeaux hat seit 2013 auch Mulhouse so eine Kunstmauer in der Rue de la Moselle, um die sich ein Verein kümmert und regelmäßig Gastkünstler einlädt – jetzt im Oktober 2022 war es IEAone (Ismaël El Atmioui) aus Pierrelatte an der Rhône. Gleich daneben prangt an der roten Wand der Schriftzug »Toutakou tu me regardes«, ein Auftrag der Stadt Mulhouse an Pierre Fraenkel, der sich auf Sprüche und Botschaften spezialisiert hat. »Vinyle« wiederum stammt von KESA. Gleich in der nächsten Straße (4 rue de la Justice) hat das Duo Jana & JS mehrere kreisförmige Motive auf die Hausmauer gesetzt mit einer jungen Frau vor einer Fassade, die Bezug nimmt auf das Hochhaus gleich dahinter.
Trompe l’œil: Viele Wandmalereien sind ganz offizielle Auftragsarbeiten, und einige Trompe l’œil-Arbeiten darunter sozusagen die Vorläufer heutiger Street-Art. In der Rue des Franciscains hat Fabio Rieti mit »Les Mulhousiens« schon 1991 berühmte Einwohner verewigt und sich selbst porträtiert, 2017 im Alter von 92 mit Hilfe von Tochter und Enkelin das eigene Werk restauriert. Ein weiteres illusionistisches Werk an der Rue Gutenberg schuf Christian Geiger – hier schaut Marilyn Monroe aus dem Fenster –, ein Elsässer aus Mulhouse, dessen Arbeiten die Einwohner noch an weiteren Orten begegnen. So malte er schon 1996 in der Rue du Couvent den Fahne schwingenden Bannerträger als Hommage an die Schweizergarde in Mulhouse.
Straßenschilder und Briefkästen: Mehr als 20 Briefkästen hat C215 mit Porträts versehen, teils mit Unbekannten, teils mit Prominenten. Der Straßenkünstler mit bürgerlichem Namen Christian Guémy lebt in Ivry-sur-Seine bei Paris und arbeitet bevorzugt mit Stencils (Schablonen) – in Mulhouse 2016 auf Einladung einer Galerie, der Stadt und der Post. Clet wiederum hat im selben Jahr rund 200 Verkehrsschilder mit hintersinnigen Miniaturen humorvoll verwandelt – ein Abbiegepfeil wird zum Eiffelturm, auf den Einbahnschildern wird gesägt und gemalert, lodern Flammen und schneidet eine Schere. Den französischen Künstler Clet Abraham und seine abziehbaren Aufkleber kannte ich schon aus Paris, schönste Neuentdeckung für mich ist der Belgier Jaune. Der »Stadtinterventionist« mit bürgerlichem Namen Jonathan Pauwels trat ab 2011 in Brüssel ins Rampenlicht, mit kleinen Stencils von Straßenarbeitern in Gelbwesten (»jaune« frz. für gelb). Trotz ihrer auffälligen Arbeitsbekleidung in Leuchtfarben fallen die kleinen Müllmänner und Bauarbeiter aufgrund ihrer Miniaturgröße und der Platzierung auf Stromkästen kaum auf (ebenfalls eine offizielle Partnerschaft der Galerie Orlinda Lavergne und GRDF im Jahr 2019) – so wie ihre realen Vorbilder im Alltag paradoxerweise für die normale Bevölkerung meist unsichtbar bleiben.
Durch die Rue des Boulangers turnt der kleine Flexo, den der Mulhouser David Zeller aus Metall für seine Installationen herstellt und aus Plexiglas auch verkauft. Etwas über Augenhöhe an Fassaden oder Pfeilern angebracht, entdeckt man auch die stilisierten roten Figuren erst auf den zweiten Blick.
Und noch so viel mehr: Das Porträt des Dr. Jacques Latscha an der Place Guillaume stammt von Marchal Mithouard alias Shaka, der in Paris lebt und arbeitet. Auch die in Toulouse geborene Künstlerin Vinie Graffiti, eigentlich Virginia Alex, hat in Paris begonnen, ihre puppenhafte weibliche Cartoon-Figur zu erschaffen (zu sehen zum Beispiel am Canal Saint-Martin), die Outfit und ihre immer üppige Haarpracht je nach Umgebung wechselt. In Mulhouse bilden Blätter ihre voluminöse Afro-Frisur und mir gefällt, dass auch Innen- wie Außenseiten der Fensterläden einbezogen wurden. Vinie Mulhouse wurde unter die 100 schönsten Kunstwerke der Street-Art gewählt (5 Grand rue). Während die Gesichter ihrer Girlies mit riesigen Augen das Kindchenschema überbetonen, haben die Frisuren ein Eigenleben entwickelt, bestehen aus Lettering, Schmetterlingen oder neuerdings sogar aus echtem Efeu, wo die Location es hergibt.
In Mulhouse hat das Office de Tourisme einen Flyer mit hilfreicher Karte aufgelegt, die online auch als PDF-Download zur Verfügung steht. Beim Stadtspaziergang kann man sich also mehr aufs Finden von Street-Art als aufs Suchen konzentrieren, denn nicht nur die großen Murals sind eingetragen, sondern auch die kleineren Interventionen auf Straßenschildern, Strom- und Briefkästen.
https://www.tourisme-mulhouse.com/uploads/pdf/street_art_a_mulhouseV11.pdf