JR CHRONICLES IN DER KUNSTHALLE MÜNCHEN

JR Chronicles: Wofür die Initialen JR stehen, verrät die Ausstellung nicht. Der Fotograf und Street-Art-Künstler, der sich hinter Hut und Sonnenbrille verbirgt, arbeitet mit riesigen Schwarz-Weiß-Fotos, bevorzugt Porträtaufnahmen von Menschen am Rand der Gesellschaft, Migranten der Pariser Banlieue, Frauen aus einer Favela in Rio de Janeiro, die ältesten Einwohner:innen in Städten wie Cartagena, Havanna oder Istanbul. Der 1983 geborene Franzose klebt seine großflächigen Kopien der Poträts an Häuserfassaden und Wände im öffentlichen Raum, an Containerschiffe und Grenzmauern. Seit August 2022 und noch bis Januar 2023 ist in der Kunsthalle München die bislang größte Retrospektive seiner Arbeiten und Aktionen zu sehen.

Porträt of a Generation: Bekannt machten JR die Aufnahmen aus dem Pariser Vorort Clichy-Montfermeil, wo er seit 2004 fotografiert, oft in Zusammenarbeit mit dem Filmemacher Ladj Ly. Weil die Medien seiner Meinung nach nur ein Zerrbild der Vororte verbreiteten, vor allem während der Unruhen 2005, bat JR die Menschen, Grimassen zu ziehen, um auf genau dieses Klischee aufmerksam zu machen. Ein besonderer Clou: Per Audio-Tracks führt der Künstler selbst durch die Ausstellung und erzählt die Geschichte dazu (https://specials.kunsthalle-muc.de/jr-audio/index_de.html).

Wrinkles of the City und Women Are Heroes: Menschen überlebensgroß zu tapezieren, provoziert direkte Reaktionen, schafft einen Austausch. Schaulustige finden sich ein, Passanten kommentieren. Ein anrührendes Projekt ist »Wrinkles of the City«, das erlebte (Stadt)Geschichte thematisiert und die Frage aufwirft, wie wir ältere Menschen wahrnehmen. Das mag weniger politisch erscheinen als frühere Aktionen von JR, bei denen der Künstler die Grenzwand zwischen Israel und Palästina mit Fotos beklebte oder in Slums Frauen als Stützen der Gesellschaft würdigte. Für »Women Are Heroes« reiste JR nach Brasilien, Sierra Leone, Liberia, Kenia, Kambodscha und Indien, sprach mit Frauen über ihre Lebensgeschichte und fotografierte sie.

Inside Out: Für das Langzeit-Gemeinschaftsprojekt »Inside Out« hat JR mit Menschen weltweit zusammengearbeitet, denen er mit den monumentalen Porträts die Möglichkeit gab, auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. In den ersten acht Jahren nahmen mehr als 400.000 Menschen in rund 140 Ländern daran teil. Auch die Paste-ups während der Renovierung des Pantheons im Innern und außen am Gebäude gehörten zu diesem Projekt. In Paris war JR recht häufig im Auftrag tätig, mit spektakulären Aktionen wie am Louvre – 2016 ließ er die Glaspyramide durch ein Trompe l’oeil scheinbar verschwinden, 2019 stellte er sie in einen Krater –, aber auch am Palais de Tokyo und am Palais de la Porte Dorée.

Visages Villages: Zu sehen sind in der multimedialen Ausstellung neben Fotografien viele Filmaufnahmen der Projekte, denn da die geklebten Papierfotos schnell verwittern und verschwinden, hat sich JR angewöhnt, seine Aktionen zu dokumentieren. Wenn ich es nicht übersehen habe, ist dagegen der mit Agnès Varda gedrehte Dokumentarfilm »Visages Villages« kein Bestandteil der Ausstellung, in dem die Regisseurin und der junge Künstler gemeinsam auf eine Reise durch Frankreich gehen.

 

www.jr-art.net

www.kunsthalle-muc.de/ausstellungen/details/jr-chronicles/

 

JR Chronicles, Kunsthalle München, bis zum 15. Januar 2023

Kunsthalle München JR Chronicles

Kunsthalle München JR Chronicles

 

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