HANNELORE SCHLAFFER: ZEIT MEINES LEBENS

Was war und noch ist: Während meines Studiums war Hannelore Schlaffer eines der wenigen Rollenvorbilder, die ehrgeizige junge Germanistinnen wie ich fanden – der großen Mehrheit der Studentinnen traten fast ausschließlich männliche Professoren gegenüber. Gerademal fünf Prozent betrug der Anteil der Professorinnen in den 1980er-Jahren, dabei war die Germanistik inzwischen ein Frauenfach. Unter den lehrenden Männern gab es teils skurrile Gestalten, bei denen von geistiger Elite nicht die Rede sein konnte, andere gaben offen zu, den Aufwand für die Lehre geringstmöglich halten zu wollen, weil ihr Hauptaugenmerk einem Ponyhof galt oder anderweitig beansprucht wurde. Für eine gutaussehende, bewundernd aufblickende Studentin war ihre Zeit aber keineswegs zu knapp. Selbst zwei Jahrzehnte später war noch nicht viel aufgeholt – in der höchsten Besoldungsgruppe der Professoren waren 2004 nur 14 Prozent Frauen. Sie mussten hart kämpfen gegen den Mannschaftsgeist der etablierten Akademiker, die sich von allen Seiten bedroht sahen, nachdem das Kultusministerium bei der ein oder anderen Berufung mal eine zweitplazierte Frau dem erstplazierten Mann vorgezogen hatte. Die Strategie seither: gar keine Frauen zum Vortrag einladen oder zumindest nicht auf vordere Listenplätze setzen.

Ein Leben zwischen Literaturwissenschaft und Essayistik: Mir ist Hannelore Schlaffer als Autorin im Studium zuerst über Goethe begegnet, ihr Habilitationsthema war »Wilhelm Meister«, für den auch mein Doktorvater Wilhelm Vosskamp als Spezialist gilt. Viele Germanisten erforschten damals bevorzugt die Literatur verstorbener Dichter – gegenüber dem aktuellen Literaturbetrieb und journalistischen Formaten hatten sie eigenartige Berührungsängste, mit nur wenigen Ausnahmen. Als Publizistin und öffentliche Intellektuelle vermochte Hannelore Schlaffer dagegen immer wieder Impulse zu geben, indem sie ein Leben lang schrieb, über Mode, das Alter, die City, die Intellektuellen …

Zeit meines Lebens: Die Literaturwissenschaftlerin aus der Generation meiner Eltern hat an den Universitäten von Freiburg und München gelehrt, Vertretungen in Berlin, Melbourne und anderswo übernommen. Sie habe aber nicht chronologisch Kindheit, Schule, Studium, Beruf nacherzählen wollen, sondern anhand von Erlebtem über Themen schreiben, die für sie Gegenwart seien, erläutert die Autorin, also beginnt »Zeit meines Lebens« mit dem für sie Wichtigsten, mit dem Schreiben und wie »es zum Vergnügen wurde«. Ein Vorbild war Hannelore Schlaffer auch, weil sie neben ihren akademischen Arbeiten für Magazine, Rundfunk und Zeitungen schrieb – wie Karlheinz Bohrer für den Merkur und wie Walter Hinck für das Feuilleton. Ihre »Schreiblust« war eine damals »durchaus einträgliche Beschäftigung«, zumal sie schreiben durfte, was ihr in den Sinn kam. »Ich erfand Themen und schrieb am Morgen, am Abend, im Zug, im Hotel« und erwachte am Morgen »mit den nächsten drei Themen für Zeitungsartikel«. Eine klassische Autobiographie ist es also nicht, in der wir hier lesen, es sind Erlebnisse und Erfahrungen, die für die Autorin bis in die Gegenwart eine Rolle spielen – die Kapitel heißen »Lesen«, »Laufen«, »Nachdenken«, »In der Bibliothek«, es geht auch um Geld, Sport, Männer und mehr. Autobiographien seien eine Alterserscheinung und vorwiegend Produkte von Männern, »die nach einem erfolgreichen Leben zur Untätigkeit verurteilt sind«, schreibt Hannelore Schlaffer am Ende ihres Buchs, wobei sie hier ausnahmsweise mal ungenau ist, denn eigentlich meint sie den Verlust von Status und Netzwerk, Macht und Einfluss. Niemand ist nach Ende seines Berufslebens zur Untätigkeit gezwungen, das ehrenamtliche Engagement steht jedem offen. Wie das Schreiben.

Hannelore Schlaffer, Zeit meines Lebens. Was war und noch ist, Zu Klampen Verlag, Springe 2022