FRANCIS KÉRÉ: SOZIALE ARCHITEKTUR
Noch bis zum 26. Februar 2017: Die Pinakothek der Moderne in München zeigt das Werk von Francis Kéré. Der Architekt wurde in Gando geboren, einem kleinen Dorf in Burkina Faso, in dem es weder Elektrizität noch fließend Wasser gab und kaum einer der Bewohner lesen oder schreiben kann. Als einziges Kind konnte er eine Schule besuchen, weit weg von seiner Familie; nach seinem Schulabschluss studierte Kéré Architektur an der TU in Berlin. Weil Kéré seine Ausbildung als Privileg empfindet, wusste er schon sehr früh sehr genau, dass er seiner Dorfgemeinschaft etwas zurückgeben wollte und begann noch an der Universität, Pläne für eine Grundschule in seinem Heimatdorf zu entwerfen. Damals belächelten Fachkreise seine Projekte für Gando noch, doch dem ehrgeizigen jungen Mann gelang es dennoch, per Fundraising den finanziellen Grundstein für die Realisierung aufzutreiben.
Bauen mit Erde, Wind und Licht: Für das Projekt in Burkina Faso war das Budget trotzdem sehr begrenzt. Weil das Geld knapp war, half die gesamte Dorfgemeinschaft von Gando beim Bau aus Lehm mit. Und weil das Land so arm ist, war auch an eine Klimaanlage gar nicht zu denken, nur dank ausgeklügelter Luftzirkulation wird die Schule gekühlt. Schon dieses erste Werk machte den jungen Baumeister schlagartig berühmt, denn 2004 erhielt er für den so einfachen wie durchdachten Schulbau den »Aga Khan Award for Architecture«, den weltweit renommiertesten Architekturpreis. Ausgezeichnet wurde Kéré für die beispielhafte Verbindung von architektonisch herausragenden Ideen mit sozialem Engagement. So ließ er beispielsweise für ein weiteres Gebäude die großen Tonkrüge, die von den Frauen seines Heimatdorfs auf den Köpfen balanciert werden, in der Mitte durchsägen und in die Decke einlassen. Dort bilden sie runde Oberlichter, durch die die Sonne Lichtpunkte auf den Boden wirft und zugleich die Hitze entweichen kann.
Soziale Architektur: Heute gehört Francis Kéré zu den wichtigsten Vertretern einer sozial engagierten Architektur, gewann viele weitere nationale und internationale Preise und ist wegen seiner innovativen und herausragenden Entwürfe weltweit bekannt. Schon länger als hierzulande wird seine Arbeit von der Fachwelt im Ausland als »richtige« Architektur akzeptiert, auch in der Presse: Es gibt kaum ein Architekturmagazin in den USA, in Spanien oder in Italien, das noch nicht über Kérés sensationelle Arbeiten berichtet hätte. Und insbesondere in Afrika ist er wegen seiner konsequenten Verknüpfung von ethischen und ästhetischen Prinzipien zudem ein wichtiges Vorbild für die jüngere Generation.
Radically simple: In Deutschland brachte 2009 vor allem das »Operndorf« in Burkina Faso Kéré ins Gespräch und in die Medien, das er zusammen mit dem (verstorbenen) Theaterregisseur Christoph Schlingensief plante. Nun präsentiert das Architekturmuseum der TU München mit »Francis Kéré. Radically Simple« die bislang größte Überblicksausstellung – neben den Bauten, die er in seinem Heimatdorf Gando realisiert hat, werden weitere ausgeführte Werke weltweit, aber auch laufende Projekte und Entwürfe für Deutschland gezeigt, wo er in Münster und Mannheim zwei städtebauliche Wettbewerbe gewonnen hat und auf dem Berliner Flughafen Tempelhof einen temporären, mobilen Theaterbau plant.
Der Ausstellungsparcours führt durch den persönlichen und professionellen Lebensweg eines Ausnahmetalents: Kéré gelingt es, die kulturellen Prägungen seines Heimatlandes mit den Kenntnissen, die er als ausgebildeter Architekt erworben hat, in einen neuen, dritten Weg zu übersetzen. Vor allem die kluge Einbindung lokaler Ressourcen und die große Selbstverständlichkeit, mit der die soziale Verantwortung den Menschen und der Umwelt gegenüber die oberste Maxime seines Bauens bildet, machen Kérés Bauten relevant und vorbildhaft.
Die Ausstellung ermöglicht dank vieler neuer Aufnahmen und Videos von Daniel Schwartz eine eindrucksvolle Begegnung mit den meist weit entfernt liegenden Bauten von Francis Kéré. Kuratorin der Ausstellung ist Ayça Beygo, die das Konzept in enger Zusammenarbeit mit dem Büro Francis Kéré Architekten ausgearbeitet hat. Im Hatje Cantz Verlag erscheint dazu ein Katalog aller bisherigen Arbeiten und Projekte. Beeindruckt und begeistert verlässt man die Ausstellung, wünscht sich solche kreativen Köpfe auch als Ideengeber für Projekte in Deutschland.
Baracken-Upcycling in Baden-Württemberg: Unlängst hat der Berliner Architekt zusammen mit den Landschaftsarchitekten »man made land« den städtebaulichen Wettbewerb für ein 2011 aufgegebenes amerikanisches Militärgelände in Mannheim gewonnen, die Taylor Barracks. Ein Grünzug und eine bepflanzte Brücke sollen das Areal in unmittelbarer Autobahnnähe mit dem Käfertaler Wald verbinden. Während des Dritten Reichs beherbergten die Taylor Barracks eine Flakscheinwerferabteilung der Luftwaffe, die den Großraum Mannheim vor Luftangriffen schützen sollte – »Scheinwerfer-Kaserne« genannt. Nach der Übernahme durch die US-Army waren auf dem 46 Hektar großen Gelände überwiegend Einheiten der Fernmeldetruppe und der Militärpolizei sowie Verwaltungsstellen und eine Einheit der US-Militärjustiz stationiert. Mit seinem Planungsentwurf für den zukünftigen »Taylor Campus« setzt Francis Kéré prägende Akzente für ein »grünes« Gewerbegebiet im Mannheimer Stadtteil Vogelstang – falls sein Entwurf realisiert wird…
Pinakothek der Moderne, Kunstareal München, Barer Str. 40, 80333 München, Di–So 10–18, Do bis 20 Uhr, Eintritt 10 €, ermäßigt 7 €, So 1 €
TED-Vortrag von Francis Kéré