DEUTSCHLAND, WIE ES ISST
Stimmt’s? Nie Fleisch oder Wurst zu essen, geben 6 Prozent der Frauen an, dagegen essen 47 Prozent der Männer täglich Fleisch. 85 Prozent der Frauen achten auch darauf, täglich Obst und Gemüse zu essen, aber nur 66 Prozent der Männer. Das verrät mir der »Ernährungsreport 2016«. Oder wissen Frauen einfach nur besser, welche Antwort gerade erwartet wird? Die Zahlen stammen aus dem Landwirtschaftsministerium – das neben der Zuständigkeit für gesunde Ernährung auch die für die Halter von Nutztieren in Deutschland besitzt. Neutral sind Zahlen und Statistiken allerdings nie – kommentiert und als wünschenswert oder änderungsbedürftig eingeordnet wird in den Broschüren nichts. Dass wir zu viel Fleisch essen und durch intensive Rinderhaltung den Klimawandel begünstigen und Ressourcen wie Wasser verbrauchen – kein Thema. Dass wir unser Essverhalten ändern müssen, weil zu viele Menschen in Deutschland übergewichtig sind – kein Thema. Lebensmittelverschwendung – kein Thema. Bio-Produkte? Kein Thema.
Ernährungsreport Deutschland: Im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa Befragungen durchgeführt, deren Ergebnisse 2016 und 2017 in Ernährungsreports zusammengefasst wurden. Ich habe mir beide Ausgaben angeschaut. Im Geleitwort stapelt Bundesminister Christian Schmidt hoch: Nicht nur spüre der Ernährungsreport Trends auf, die Ergebnisse seien Rückenwind für seine Politik, schreibt er 2016, aktuell stellt er 2017 das »Tierwohl« in den Mittelpunkt. Dabei ist der CSU-Politiker eher bauernfreundlicher Landwirtschafts- als verbraucherfreundlicher Ernährungsminister. Die Lebensmittelüberwachung sei »Aufgabe der Bundesländer« hatte er beim Skandal mit Insektengift belasteter Eier im Sommer diesen Jahres mitteilen lassen und jegliche Schuld im missglückten Krisenmanagement von sich gewiesen. Ich versuche, nicht allzu voreingenommen zu sein. Allerdings tauchen die oben genannten Zahlen zu Frauen und Männern im »Ernährungsreport 2017« nicht mehr auf – nicht mehr opportun? Dafür wird groß herausgestellt, dass 79 Prozent aller Verbraucher ein »Tierwohllabel« wichtig fänden.
Are you kidding me? Viel Verpackung, wenig Inhalt: Nur 32 Seiten schmal sind die beiden sogenannten Reports, und wenn man sie durchblättert, dann ist das Ganze vor allem aufwendig gestaltet, aber nicht unbedingt aussagekräftig oder stimmig. »75 Prozent der Befragten schätzen die Bedingungen, unter denen Lebensmittel in Deutschland produziert werden, als gut oder eher gut ein«, wird geprotzt, als wären die restlichen 25 Prozent eine zu vernachlässigende Größe. Wer genau hinschaut: Nur 7 Prozent der Befragten optierten für »sehr gut«, 68 Prozent für »eher gut«. Wenn das keine Ohrfeige für einen Minister und seine »Politik« ist, was dann?? Die Zahlen, die hier nur scheinbar zu Informationszwecken veröffentlicht werden, sind – eher durchsichtig als versteckt – politischen oder wirtschaftlichen Interessen und lobbygesteuerter Einflussnahme geschuldet. Andere Zahlen wiederum sind – falls repräsentativ – so bedenklich, dass man sich fragt, wie der Minister da noch »ruhig schlafen« kann. Die Zahlen zum Einkaufsverhalten etwa: Mehr als die Hälfte der Befragten, insgesamt 62 Prozent (59 Prozent im Jahr 2016), kauft fast alle bzw. den Großteil ihrer Lebensmittel im Supermarkt, mehr als ein Drittel im Discounter 43 Prozent (35 Prozent im Jahr 2016). Auf dem Wochenmarkt sind es 8 Prozent (–6 Prozent gegenüber 2016), im Hofladen beim Bauern 5 Prozent (–5 Prozent) oder im Bioladen 6 Prozent (–2 Prozent) kaufen immer weniger. Kann das denn einem Landwirtschaftsminister recht sein? Es darf vermutet werden, dass Agrarindustrie-Minister die richtigere Bezeichnung wäre.
Die beiden Ernährungsreports sind auf der Website des BMEL als PDF-Downloads erhältlich