BLOGPARADE FRAUENLESERIN

Jetzt ist wieder die Zeit für Jahresrückblicke. Auf ihrem Blog hat Kerstin Herbert zur 1. Frauenleserin Blogparade eingeladen und zum Anlass genommen, andere Leserinnen, Buch- und Literaturbloggerinnen über die Bücher von Autorinnen auszufragen, die sie 2018 gelesen haben. Den Aufruf habe ich wiederum über schiefgelesen gefunden, den Bücherblog von Ex-Buchhändlerin Marion mit der schönen Serie »Essen aus Büchern«, in denen sie Rezepte aus Romanen nachkocht. Ich rezensiere zwar nur selten Bücher, und wenn dann nicht Literatur, sondern nur, was mit Reise oder Kochen zu tun hat, aber hier fand ich mich doch als Leserin und Berufsleserin angesprochen. Außerdem empfehle ich die tolle Reihe von Doris Hermanns auf dem BücherFrauen-Blog, in der Frauen jeweils »3 Autorinnen – 3 Bücher« empfehlen, mein Beitrag war im September 2017 dran.

Wie hoch ist Deine »Frauenquote«? Wieviele Bücher hast Du in diesem Jahr gelesen? Wieviele davon wurden von Autorinnen verfasst?

Meine Frauenquote liegt bei knapp 100 Prozent. Ausnahmen mache ich nur bei Reiseführern, Kochbüchern und bei Sachbüchern zu kulinarischen und Paris-Themen, weil ich die beruflich brauche. Alles, was ich freiwillig und zum Vergnügen lese, ob Sachbücher oder Belletristik, ist von Frauen geschrieben. Das hat im Lauf der Jahre immer mehr zugenommen, schon im Germanistik-Studium lieber Marieluise Fleißer als Bert Brecht, doch seit anderthalb Jahren etwa lese ich gar keine Bücher von Männern mehr. Nicht als feministisches Programm, das hat sich so ergeben, dass mich so viel mehr Bücher von Frauen interessieren. Also kaufe ich erstmal von meiner persönlichen Leseliste eins nach dem anderen… In einem wunderbaren Interview im SZ-Magazin vom 4. Januar 2019, geführt von Gabriela Herpell, sagt auch die Autorin und ehemalige Punkrockerin Viv Albertine, sie lese keine Bücher von Männern mehr. Während die Interviewerin noch erstaunt nachfragt: »Im Ernst?«, nickte ich schon zustimmend. Und ich teile ihre Argumente. »Warum sollte ich?«, fragt Viv Albertine zurück. »Keine Lust mehr«, sagt sie, »sagenhaft langweilig…« Vielleicht muss man noch dazu sagen, dass ich einige Jahre die Klassiker-Ausgaben, Schriftsteller-Biografien und Literaturkalender im Artemis&Winkler-Verlag verantwortet und als junge Frau auch die ZEIT-Liste der 100 Bücher »weggelesen« habe. Im Germanistik- und Romanistikstudium kam dann bis zur Promotion noch allerhand dazu. Meine Lieblingsklassiker nehme ich hier also aus, ich meine eher die aktuelle Gegenwartsliteratur. Wieland, Thackeray, Jean Paul, Henry James, Robert Walser, Schnitzler, Raabe, Tieck, Tucholsky, Sterne, Rabelais, Gogol und andere kommen momentan zwar zu kurz, aber sie fallen nicht unter mein Pauschalurteil »keine Bücher von Männern mehr«. Die Frage »Was ist ein Klassiker?« würde hier aber zu weit führen…

Welches Buch einer Autorin ist Dein diesjähriges Lesehighlight? 

Mein absolutes Lesehighlight ist die Autobiografie von Annie Ernaux, »Die Jahre«. Ich habe es nicht direkt nach der Buchmesse 2017 mit Frankreich-Schwerpunkt gelesen, aber da ist es mir das erste Mal begegnet und landete auf meiner Leseliste. Ein Trauerspiel, dass ich auf eine so herausragende Schriftstellerin nicht früher gestoßen bin, wo ich doch vor allem »frankophil« lese. Erst ein paar Monate später habe ich es mir gekauft, gegen 23 Uhr angefangen zu lesen, glaube ich, und dann bis morgens, bis ich es durch hatte. Eigentlich entwickeln ja eher Krimis so einen Sog – hier muss es etwas mit der Sprache zu tun haben – an der Stelle daher ein großes Lob für die souveräne Übersetzerin Sonja Finck. Annie Ernaux selbst nennt ihren scheinbar aufs Faktische beschränkten Stil écriture factuelle. Ohne sich selbst allzu wichtig zu nehmen, auch ohne die Ich-Perspektive zu wählen, in einem Berichtston ohne Metaphern und in kurzen Momentaufnahmen, aber aus dezidiert weiblicher Perspektive entwirft Annie Ernaux eine Chronik der Nachkriegszeit über die 1960er-Jahre bis heute und wie »die Jahre« die eigene Person geprägt haben. Kein einziges Mal sagt sie »ich« in dem Buch, nur wir oder man, eine stilprägende Entscheidung. In Frankreich habe ich mir anschließend »Mémoire de fille« gekauft, aber da traue ich mich noch nicht ran, weil es um ihre unerfreulichen sexuellen Erfahrungen als junges Mädchen geht. Warum das von Rezensenten nach #Metoo noch »sexuelles Erwachen« genannt werden kann, wird mir unbegreiflich bleiben. Und selbstverständlich stehen nun auch »La femme gelée« über die Ehe, »La honte« über die Eltern und weitere Bücher auf meiner Leseliste.

Welche Autorinnen hast Du in diesem Jahr für Dich entdeckt und was macht sie für Dich so besonders?

Virginie Despentes, Anita Brookner und Simone Buchholz sind die drei Autorinnen, die ich zuletzt für mich entdeckt habe. Virginie Despentes war ebenfalls eine innere Notiz für meine Leseliste auf der Buchmesse mit Frankreich-Schwerpunkt, die anderen beiden Empfehlungen. An der französischen Schriftstellerin gefällt mir die Lust an der Provokation und das Radikale, beides spürt man auch im »Leben des Vernon Subutex«. Für das Gesellschaftspanorama Frankreichs, das sie in der Romantrilogie entwirft, wird sie ja schon als weiblicher Balzac gefeiert! Das Einzige, was mir daran nicht gefällt, ist, dass ich die Anspielungen nicht alle verstehe. Schon der seltsame Name der Hauptfigur, ist es ein sprechender Name, hat er etwas mit Subtext zu tun, ist es Verlan (die Neigung der Franzosen, sprachspielerisch die Silben zu vertauschen) oder (wie der Rezensent im Tagesspiel herausgefunden hatte) die Entzugsdroge Subutex? Auch hier: eine große Herausforderung für die Übersetzerin Claudia Steinitz. Von Anita Brookner habe ich »Start ins Leben« gelesen, von Simone Buchholz »Blaue Nacht« und »Mexikoring«. Bei beiden gefällt mir der schwarze Humor, das Unsentimentale und die Lebensklugheit, und mir liegt der trockene, düstere Witz. Anita Brookner ist wie Annie Ernaux eine Spätentdeckung, ihr Debütroman erschien in England schon 1981. Grandios ist schon der erste Satz: »Im Alter von vierzig Jahren wurde Dr. Weiss klar, dass die Literatur ihr Leben ruiniert hatte«. Ein Jahr in Paris soll die Wende bringen für die Hauptfigur Ruth Weiss. Und Simone Buchholz hat mit ihren Krimis ja schon ein neues Kultgenre geschaffen, »Hamburg noir«.

Welche weibliche Lebensgeschichte bzw. Biografie hat Dich in diesem Jahr besonders beeindruckt?

Im modernen Antiquariat habe ich mir »Notre-Dame de Dada« von Eva Weissweiler gekauft und im Urlaub in einem Rutsch durchgelesen. Luise Straus-Ernst, eine der ersten promovierten Kunsthistorikerinnen ihrer Generation, war Teil der Kölner Dada-Bewegung und erfolgreiche Kulturjournalistin der Weimarer Republik. 1933 musste sie als Jüdin emigrieren und versteckte sich in Frankreich, 1944 wurde sie mit einem der letzten Konvois deportiert. Kein Ruhmesblatt, wie ihr Ex-Mann Max Ernst und andere Freunde sich selbst die Nächsten waren, ihr tragisches Schicksal hätte mit tatkräftiger Hilfe wohl auch verhindert werden können. Zum einen hat die Biografie mir mal wieder deutlich gemacht, wieviele interessante Frauen es gibt, die man bedauerlicherweise nur als »Frau von« oder gar nicht kennt. Und zum anderen: Jedes gute Buch verzweigt sich in weitere (die Leseliste wächst…). Also möchte ich auch von Luise Straus-Ernst selbst etwas lesen, wahrscheinlich ihre im Exil geschriebene Autobiografie »Nomadengut«, die antiquarisch noch zu bekommen ist. 

Welches Buch einer Autorin möchtest Du in 2019 unbedingt lesen?

Die Bücher von Maryse Condé, »Das verfluchte Leben« und »Spreu im Wind«, weil sie den alternativen Literaturnobelpreis bekommen hat. Die beiden Bände habe ich 1995 gelesen, und bedauerlicherweise erinnere ich mich an nichts. Aber weil das wohl eher unter »Wiederlesen« läuft, nenne ich noch Maya Angelou und ihre Kindheitserinnerungen »Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt«. Das ist nur ein Teil ihrer sechs- oder siebenbändigen Autobiografie, in der die Autorin fesselnd und mitreißend von ihrer Odyssee des Überlebens und der Suche nach Selbstbestimmung als afro-amerikanische Frau in einer rassistischen Gesellschaft erzählt. Befremdlich, dass eine so berühmte Amerikanerin hier so wenig bekannt ist. Kleiner Nachtrag am 8. Januar: Das ändert sich gerade, in der Süddeutschen Zeitung erschien gerade ein großer Artikel über Maya Angelou, »Kämpfen und Singen«. Und bei 54books ist der genannte Band jetzt im Januar Buch des Monats. Hab’s gerade gekauft und lese und twittere mit!

Buch vor Büchern