ZEHN FRAGEN AN KAREN GERWIG: ÜBERSETZERIN AUS DEM FRANZÖSISCHEN
Im Oktober 2017 war Frankreich Ehrengast der Frankfurter Buchmesse. Genauer gesagt war das Französische zu Gast in Deutschland, denn nationale Grenzen spielten keine Rolle: Unter den Hunderten von neu übersetzten Titeln waren Autorinnen und Autoren aus den frankophonen Ländern und Regionen sämtlicher Kontinente vertreten, aus Afrika und Asien, von Kanada bis zur Schweiz und von Madagaskar bis zur Karibik. Erfreulich ist, dass die Transferleistung engagierter Übersetzerinnen dabei heutzutage häufiger gewürdigt wird als früher, doch meist dann, wenn es um Klassiker-Neuübersetzungen oder prominente Gegenwartsautoren geht. Seltener stehen Übersetzungsfragen im Sachbuch, Krimi oder Kinderbuch im Mittelpunkt. In diesem Interview bekommt eine der Sachbuch- und Genre-Übersetzerinnen ein Gesicht. Die Fragen an Karen Gerwig, seit 2004 als freiberufliche Übersetzerin aus dem Französischen, Portugiesischen und Englischen tätig, stellte Gabriele Kalmbach.
Wer bist du und wie bist du zum Übersetzen gekommen?
Mein Name ist Karen Gerwig, ich bin Diplom-Übersetzerin für Französisch, Portugiesisch und Englisch. Zu meinem Beruf bin ich über kleine Umwege gekommen, aber im Grunde wollte ich das, was ich jetzt tue, schon als Teenagerin tun. Ich habe immer viel gelesen, mit elf Jahren hatte ich die Kinderabteilung in meiner Ortsbücherei durch und musste die Bibliothekarin überreden, mich in die Abteilung für »die Großen« zu lassen, die eigentlich erst ab zwölf war. Irgendwann habe ich dann eine Übersetzung aus dem Französischen gelesen und bin über eine Stelle gestolpert, bei der ich genau zu wissen glaubte, was da ursprünglich im Französischen stand. Ich dachte mir: »Lasst mich das machen, ich kann das besser!« Heute wäre ich wohl nicht mehr so arrogant. Konsequenterweise habe ich dann Übersetzen in Germersheim und Rennes (Frankreich) studiert (mit Hauptfach Französisch und Fachschwerpunkt Jura), kurz überlegt, ob ich doch vielleicht ins Lektorat möchte, deshalb ein Lektoratspraktikum absolviert – und wurde darüber doch als Übersetzerin entdeckt: Sämtliche Programmleiter hat weniger interessiert, dass ich Lektorin werden wollte, als dass ich ausgebildete Übersetzerin war. So kam ich schon während des Praktikums an meine ersten Übersetzungsaufträge und bin in meinem Beruf auch genau richtig.
Was macht dir dabei am meisten Spaß?
Am meisten Spaß machen mir tatsächlich die Geschichten. Ich bin neugierig und möchte unterhalten werden, deshalb mag ich einfach gute ErzählerInnen. Allerdings sind die besten Geschichten wenig wert, wenn sie nicht gut formuliert sind, deshalb macht mir die Arbeit am meisten Spaß, wenn ein(e) AutorIn beides kann. Das dann genauso für die deutschen LeserInnen rüberzubringen und selbst noch Freude am Text zu haben, ist das Ideal.
Deine Bandbreite ist groß und reicht von Belletristik über Kinder- und Jugendbücher bis zu Fantastik, Krimi und Humor. Was ist bei Übersetzungen aus dem Französischen besonders knifflig?
Französische AutorInnen gelten in Deutschland als sperrig, was ich nicht verstehen kann. Besonders knifflig ist aber vielleicht, dass in der französischen Tradition viel mit Verweisen auf andere literarische Werke, Philosophie, Popkultur und so weiter gearbeitet wird. Man muss also ständig darauf gefasst sein, dass in einer Formulierung noch andere Bedeutungen mitschwingen.
Du hast auch Kochbücher aus dem Französischen übersetzt, was war das Besondere dabei?
Bei den Koch- und Backbüchern ist mir ein Phänomen wiederbegegnet, das ich aus meiner Zeit als Übersetzerin für den TÜV kannte: Im Deutschen haben wir für alles ein Fachwort – im Französischen darf es auch mal weniger deutlich sein. Wenn dann womöglich noch Flüchtigkeitsfehler im Original vorkommen, kann es passieren, dass nicht ganz klar ist, ob zum Beispiel frische Hefe, Trockenhefe oder Backpulver verwendet werden soll. Da hilft es, wenn man sich im Fachgebiet auskennt – das gilt aber auch für alle anderen Übersetzungen. Außerdem achte ich besonders darauf, dass auch für Koch- und BackanfängerInnen wirklich präzise ausgedrückt wird, was für das Gericht wie getan werden muss. Man muss beim Übersetzen mitdenken, aber das gilt im Prinzip auch für Übersetzungen bei allen anderen Genres oder Themen.
Welche Rolle spielen Netzwerke wie der Verband deutschsprachiger Übersetzer und die BücherFrauen für Dich?
Netzwerke sind für FreiberuflerInnen das Wichtigste überhaupt. Aus ganz verschiedenen Gründen: man stützt sich gegenseitig, kann Fragen stellen oder anderen weiterhelfen, manchmal bekommt man die Möglichkeit, einander bei Auftraggebern weiterzuempfehlen, es entstehen auch Freundschaften – und nicht zuletzt hilft es auch manchmal einfach der Seelenhygiene, wenn man sich mit Leuten austauschen kann, die dieselben Probleme haben wie man selbst. Außerdem ist nicht zu unterschätzen, was gerade VDÜ und BücherFrauen in ihren jeweiligen Bereichen für ihre Mitglieder an Verbands- und Lobbyarbeit betreiben!
Was tust du, wenn du nicht als freiberufliche Übersetzerin aktiv bist?
Dann bin ich Mitglied in einem Verein für Swingtänze und in einer Kirchengemeinde und werkle gerne mit den Händen. Was ich sehr, sehr gerne tue: kochen und mit Freunden essen gehen und dabei spannende neue Länderküchen entdecken. Und am allerliebsten bin ich auf Reisen.
An welchem Projekt arbeitest du aktuell?
Im Moment arbeite ich an einem Jugendbuch von Moïra Fowley-Doyle, einer halb irischen, halb französischen Autorin, die leider auf Englisch schreibt und nicht auf Französisch. Sie sagt von sich, ihre französische Hälfte möge Rotwein und düstere Geschichten, in denen alle sterben, ihre irische dafür aber Tee und Happy Ends – das passt auch recht gut zu mir.
Was oder wen würdest Du gerne mal aus dem Französischen übersetzen?
Ein Traum wäre, Autorinnen wie Fred Vargas zu übersetzen, ich bin schon lange Fan von ihr. Krimis mag ich allgemein sehr, und dass mir Noirs anscheinend besonders liegen, habe ich vor kurzem bei der Übersetzung einer poetisch-düsteren Kurzgeschichte für CulturBooks entdeckt. Dass mir Humor ebenfalls liegt, weiß ich wiederum schon länger. Comics würden mich ebenfalls reizen, in Frankreich ist die Comickultur ja groß, und ich habe das Gefühl, sie kommt immer mehr bei uns an. Spätestens seit man hier im Feuilleton die Graphic Novel entdeckt hat, scheint mir zumindest mehr Bewusstsein für diese Kunstform zu herrschen. Wenn sich da mal ein Projekt ergäbe, wäre das natürlich toll. Generell mag ich vieles, aber Literatur ist ja immer auch Geschmackssache. Ich möchte es mal so ausdrücken: lieber Bücher, in denen Frauen sagen: »Ach, trinken kann ich genausogut allein« als: »So gut hatte sich noch nie etwas angefühlt«.
Was hast Du vom Gastauftritt Frankreichs auf der Buchmesse mitbekommen oder mitgenommen?
Weil eine Studienkollegin und Freundin von mir im französischen Pavillon als Dolmetscherin gearbeitet hat, war ich dort noch öfter anzutreffen, als ich es sonst ohnehin schon gewesen wäre. Meist habe ich mich dort treiben lassen, habe Buchrücken gelesen und mich über das französische Essen gefreut – und mich ansonsten oft einfach von den französischen Podiumsdiskussionen berieseln lassen, egal, was geredet wurde. Einfach, um in der Sprache zu baden. Das ist das Schönste für mich.
Ist Frankreich auch ein Reiseziel für Dich?
Immer! Am allerliebsten! Egal, welche Ecke! Ich habe ein Jahr meines Studiums in der Bretagne verbracht, da möchte ich unbedingt bald mal wieder hin. Die Bretagne ist in den letzten Jahren meiner Vorliebe für Südfrankreich als Urlaubsziel zum Opfer gefallen, das muss sich dringend ändern.
Was ist Dein Lebensmotto?
Ich weiß nicht, ob ich so etwas habe, zumindest nicht konkret. Es rangiert irgendwo zwischen »Probier’s mal mit Gemütlichkeit«, »Behandle jeden so, wie du selbst behandelt werden möchtest« und »Liebe deinen Nächsten«.