BUCHMESSE FRANKFURT: FRANKREICH ZU GAST

Großer Auftritt: Frankreich, oder besser gesagt die französische Sprache, hat sich in diesem Herbst vom 11. bis zum 15. Oktober als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert. Denn nationale oder geografische Grenzen spielten keine Rolle, das »literarische Territorium« stand im Mittelpunkt: Die frankophonen Länder und Regionen sämtlicher Kontinente waren vertreten, in Afrika und Asien, von Kanada bis zur Schweiz. Aus Niger, Madagaskar und Gabun, aus der Karibik und dem Maghreb kamen rund 180 französischsprachige Autorinnen und Autoren nach Deutschland und stellten ihre Werke bei Lesungen oder Podiumsdiskussionen vor. Im rund um die Uhr geschäftigen Gastpavillon (die frischen Croissants im Café waren morgens ein Geheimtipp) durfte man einigen von ihnen in regelmäßigem Turnus beim Drucken zuschauen – von der (nachgebauten) historischen Gutenberg-Druckerpresse bis zu den digitalen Medien sollte die ganze Welt des Schreibens und Lesens vertreten sein.

Frankfurt auf Französisch: Für den Gastpavillon hatten Studierende der Hochschule für Kunst und Design in Saint-Etienne ein baugerüstartiges Regalsystem aus unbehandelten, roh zusammengeschraubten Holzleisten entworfen. So war die 2300 Quadratmeter große Ausstellungsfläche in eine riesige Bibliothek verwandelt, die labyrinthisch hätte wirken können, doch die installierten Regale waren zugleich sehr transparent und ließen immer wieder den Blick auf die ständigen Aktivitäten und zahlreichen Besucher zu. Als Wegweiser in dieser Bibliothek diente die Beschilderung mit großformatigen Buchstaben – die Riesenlettern wiesen den Weg zu Kunst- und Kinderbüchern, zu Comics und Graphic Novels. Trotz der rund 30.000 gedruckten Bücher, die in den langen Regalreihen (ein wenig »hinter Gittern«) ausgestellt wurden, bildeten Hunderte von Lesungen und Podiumsdiskussionen das eigentliche mediale Ereignis während der Buchmesse. Unübersehbar inmitten der Vielfalt der zwischen zwei Buchdeckeln publizierten Werke war die große Bühne – der zentrale Ort für literarische Begegnungen. Hier konnte das Publikum Autoren und Autorinnen im Gespräch erleben, Lektüretipps von Lesungen mitnehmen, bei den »musikalischen Pausen« entspannen, an der »Grande Dictée« teilnehmen (dem großen Diktatwettbewerb) und Debatten verfolgen.

Neu übersetzt: Auf meine Leseliste haben es (mindestens) folgende Autorinnen der französischen Gegenwartsliteratur geschafft: Virginie Despentes, Annie Ernaux, Emmanuelle Bayamack-Tam, Sophie Divry, Négar Djavadi.

Zu den interessantesten darunter zählt wohl Virginie Despentes: Ihre Geschichte eines rasanten sozialen Abstiegs, »Das Leben des Vernon Subutex« (im Kiepenheuer&Witsch Verlag erschienen, übersetzt von Claudia Steinitz) gilt als literarische Sensation. Zugleich mit dem Weg ihres Protagonisten vom »normalen« Leben ins Prekariat zeichnet die Autorin ein scharfsichtiges Porträt der französischen Gesellschaft.

Als neue »Königin der Autobiografie« gilt Annie Ernaux mit ihrem schon vor einem Jahrzehnt in Frankreich veröffentlichten Buch »Die Jahre«, in dem sie sich an die Kindheit im Arbeitermilieu erinnert – ein Zeitdokument, das die Atmosphäre der Nachkriegszeit in der französischen Provinz einfängt (bei Suhrkamp erschienen und von Sonja Finck ins Deutsche übersetzt).

Unbedingt lesen werde ich auch »Ich komme« von Emmanuelle Bayamack-Tam (erschienen im Secession Verlag). Die Französin führt darin drei Frauen aus drei Generationen vor, ein bitterböses Porträt einer kaputten Familie im Marseille von heute. Ausgerechnet die als Baby ausgesetzte Charonne, dunkelhäutig, kraushaarig und aus Protest pummelig, widersetzt sich energisch dem täglichen Rassismus.

Auch der komisch-tragische Debütroman »Desorientale« der Regisseurin Négar Djavadi ist eine Familiengeschichte dreier Generationen, vor dem Hintergrund des politischen Geschehens im Iran und dem Exil in Frankreich (von Michaela Meßner übersetzt und bei C.H.Beck erschienen).

Schon gelesen habe ich »Als der Teufel aus dem Badezimmer kam« von Sophie Divry (Ullstein Verlag, übersetzt von Patricia Klobusiczky). Ganz so »unglaublich lustig«, wie dieser »Improvisationsroman voller Unterbrechungen und ohne Anspruch auf Tiefgang« angekündigt war, fand ich ihn nicht. Die Geschichte einer arbeitslosen Journalistin in Lyon, die sich irgendwie bis zum Monatsende durchschlagen muss, hat nicht nur sehr kurzweilige Passagen sondern auch Längen, ist grafisch und typografisch teils originell und teils bemüht. Und auf jeden Fall eine Herausforderung für die Übersetzerin, die nicht wenig Sprachspielerisches zu meistern hatte –  etwa eine Aufzählung von Konzerten, die die Ich-Erzählerin sich nicht leisten kann. Die Liste zieht sich über vier Seiten, und was noch realistisch mit Rock-, Kammer- und Popmusik beginnt, steigert sich über Hupkonzert und Jazz Bumm Bumm schnell ins Fantastische und zu so schönen Kreationen wie Leerer-Kühlschrank-Blues, Trash Tonic Tralala und Industrial Quetsch.

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