BORDEAUX: CITÉ DU VIN

Irritation oder Faszination? Audioguides mögen wir nicht, also stürmen wir erstmal, lässig abwinkend, an der Verleihstation vorbei in die Dauerausstellung der neuen Cité du Vin in Bordeaux. Pustekuchen! Ohne Kopfhörer ist der Ausstellung absolut nichts abzugewinnen – es gibt die Informationen nur multimedial. Lesen muss hier niemand können, alles funktioniert über Bilder und Ton. Also kehrt marsch, und die Dinger aufgesetzt. Ab da ist der Parcours durch die 3000 m2 große Ausstellung ganz dem eigenen Interesse überlassen – oder dem Andrang an den jeweiligen Stationen geschuldet. Man kann an Aromen schnuppern: einen sensoriellen Zugang zum Wein nennen das die Ausstellungsmacher. In Bildershows rauschen auf drei Leinwänden Weinberge aus Anbaugebieten von allen Kontinenten als grüne Symphonie vorbei. Eine Sterneköchin, ein Journalist, ein Historiker und andere sprechen (natürlich virtuell) vom Wein, die Schrecken des Alkoholismus werden fast rauschhaft evoziert, beim visuellen Gang durch die Weingeschichte von Bordeaux treten reale Personen ins Bildermosaik. In raumhohen »Flaschen« finden sich Porträts der sechs großen »Weinfamilien«: Weiß- und Rotwein, Rosé, Schaumweine, Aperitif- und Likörweine. Denn ein klassisches Museum will die neue Institution auf keinen Fall sein. Zwar ist die dezidiert multimediale, interaktive Ausrichtung des Parcours nur bedingt ein Pluspunkt, denn ich entscheide gern selbst, wieviel Zeit ich mir wofür nehme. Andererseits: Was einen nicht interessiert, lässt man einfach links liegen, Material ist genügend da, es gibt mehr als genug Stoff für einen erneuten Besuch. Und vermutlich gelingt es nur dem Wein, Persönlichkeiten aus mehreren Jahrhunderten zum Bankett zu versammeln – Plinius, Voltaire, Maria Callas, Ludwig XIV., Mozart, Colette, Napoleon und Winston Churchill treffen (ebenfalls virtuell) aufeinander – und Hitchcock trägt (als Running Gag) den Wein herbei.

Cité du Vin: Seit 2016 bietet Bordeaux als Hauptstadt des größten Weinbaugebiets in Frankreich Liebhabern des Rebensafts mit der Cité du Vin eine weitere Attraktion. Dass man dabei den Weinbau weltweit vorstellt, gilt den Franzosen als ganz außerordentlich, ursprünglich sahen die Befürworter des Projekts nur das regionale Marketing im Vordergrund. Gegenüber der globalen Ausrichtung gab es große Vorbehalte seitens der lokalen Winzer und Bauchschmerzen bei einigen Lokalpatrioten. Erfreulicherweise fiel die Entscheidung ohne Rücksichtnahme auf partikulare Interessen für die Präsentation der ganzen Welt des Weins. Oben in dem sich auf 55 Meter emporschwingenden Baukörper eröffnet ein Belvedere den Blick über die Stadt, unten fließt die Garonne unter der gigantischen Hebebrücke hindurch, die vor allem für die Kreuzfahrtschiffe gebaut wurde. Zur Degustation lädt hier – trotz der schönen Idee, den Himmel voller Flaschen zu hängen – eine ausgesprochen nüchterne Bar, mit wechselnden Tropfen aus der Region. Ein Gläschen ist im Eintrittspreis inbegriffen, und den von mir probierten Crémant aus Bordeaux, »Abel brut nature« aus dem Haus Lateyron, kann ich nur empfehlen. Viel beeindruckender als die Bar ist die kreisförmige Weinhandlung im Erdgeschoss – in einer großen Runde säumen Weinflaschen aus aller Welt die Vinothek.

Die Architektur: Das Gebäude mit seinen mit organisch-fließenden Formen soll an den Schwung von Wein im Glas erinnern, so die Erläuterung der Architekten Anouk Legendre und Nicolas Desmazières vom Pariser Büro X-TU, das mit der Planung beauftragt wurde. Andere wollen eher eine Dekantier-Karaffe erkennen – ob ein Gebäude überhaupt etwas Konkretes darstellen sollte, kann man auch in Zweifel ziehen, ich neige zu der Ansicht, dass solche Symbolik gar nicht notwendig ist. Jedenfalls wurde hier per Ansage ein »Wahrzeichen« gebaut, das Guggenheim-Museum in Bilbao und die Oper in Sydney sind die zitierten spektakulären Vorbilder. Nicht zuletzt mit dem Ziel, die wirtschaftliche Bedeutung des »Önotourismus« noch auszubauen, wurde die Cité du Vin errichtet: Neben dem Weinbau selbst hat in den letzten Jahrzehnten der Tourismus als Wirtschaftsfaktor rasant dazugewonnen. Ob es gelingt, mit dieser neuen Landmarke den Weintourismus im Bordelais entscheidend zu befördern, wird erst die Zukunft zeigen. Das Museum selbst hat die Aufnahme in die Traveller-Rankings geschafft: Im Oktober wählte das amerikanische Reisemagazin »National Geographic« die Cité du Vin unter die Top Ten der Museen weltweit.

Cité du Vin, April–Aug. tgl. 10–19, Sept.–März Mo–Fr 10–18, Sa, So 10–19 Uhr, Eintritt 20 €, Tram B: Haltestelle Cité du Vin

www.laciteduvin.com

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